Terror statt Chaos

■ Die Berliner Altpunks „Terrorgruppe“ besuchen am Sonntag den Tower. Ist aber nur purer Zufall und nicht chaostagebedingt

„Korrupt“ haben sich aufgelöst, ASE müssen ganz viel arbeiten, um die teure US-Tournee abzustottern, und „Luna Lustig“ ist zur Zeit nicht zu Hause. Das Sommerloch hat auch den Punkrock erfaßt. Obwohl Polizei und Stadtobere sich auch in diesem Jahr wieder das erste Augustwochenende im Kalender markieren, um etwaigen Chaostagen entgegen zu treten, deutet in Bremen nichts auf eine Neuauflage des bundesweiten Sauf- und Randaletreffs hin. Allein die Terrorgruppe aus Berlin verbreitet am Sonntag im Tower ein kleines bißchen musikalisches Chaos.

Schließlich spielten die vier Berliner in guten, alten Punkbands wie „Hostages of Ayatollah“ und „Inferno“ (und in nicht ganz so guten wie der schmierigen Rockerkombo „Happy Hour“.) Seit Ende 1993 rocken Sänger Archie, Gitarrist Jacho, Bassist Fritz und Drummer Herman von Hinten als Terrorgruppe durch die Gegend. Dabei haben sie in ihrem kleinen Bandbus schätzungsweise eine Strecke von hier bis zum Mond zurückgelegt, nebenbei ihr eigenes Fanzine gemacht und so die Höhen und Tiefen des Do-It-Yourself-Netzwerkes der Punkszene in all seinen Facetten kennen gelernt.

Kein Wunder, daß nun das Schaffen der Punkveteranen über 30 sehr abgeklärt rüberkommt. Wo jüngere Bands auf pure Energie setzen, halten die Berliner mit routinierter Musikalität dagegen. Wild und bewegt ist die Liveshow, aber im Grunde sitzt jeder Griff perfekt.

Und das ist gut so, denn obwohl es derzeit etwa 800 Deutschpunkbands gibt, klingt die Terrorgruppe wie keine von ihnen. Zwei-Finger-Riffs sind selten, meist flitzen die Terrormusikanten eigenwillig und gekonnt über die Griffbretter. Die Arrangements bleiben aber einfach, werden nur mit Liebe zum Detail aufgemöbelt. Mal flirtet man mit Swing, mal peppt ein kleiner Off-Beat eine Anti-Innere-Sicherheit-Hymne aus, dann setzt ein Saxophon ein paar Akzente. Besonders auf dem neuen Album „Keiner hilft Euch“ haben Archie und Co. den Punk an sich längst hinter sich gelassen, versuchen sich an den B-52s und an der Neuen Deutsche Welle. Zum Glück haben sie immer noch jede Menge Herz und Energie – sonst würden die Jungs schnell als kopflastige Punkrockopas enden.

Auch textlich passen die Berliner in keine Schublade. „Heimatfront“ etwa behandelt Militarismus aus Terrorgruppensicht. Statt Friedensparolen zu singen, mokiert man sich schadenfroh über die schnurrbärtigen Rekruten, die anderswo deutsche Interessen durchsetzen müssen, während die daheimgebliebene Ehefrau untreu wird – ein Beispiel dafür, daß zwar der Militarismus nicht das Ding der Berliner ist, politische Korrektheit aber auch nicht. Bei einem Interview fällt Basser Fritz zum Thema P.C. gerade mal das Wort „Computer“ ein.

Rechtfertigt die Terrorgruppe aber polizeiliche Überstunden? Gitarrist Jacho sagt: „Ich habe zwar noch nichts von den Chaostagen in diesem Jahr gehört. Aber wenn was abgeht, ist das natürlich unterstützenswert. Dann sind wir dabei.“ Daß aber das inszenierte Bühnenchaos im Konzertsaal nach draußen schwappt, darf bezweifelt werden.

L.R.

Die Terrorgruppe spielt am 2. August ab 21.00 Uhr mit den Bremer „Camelboy“ im Tower