: Düstere Stimmungscocktails
Das 1. australisch-neuseeländische Filmfestival beweist, warum man sich „down under“ den Ruf erworben hat, die neue Boomregion des internationalen Films zu sein ■ Von Gudrun Holz
Mitten ins Dickicht modriger Baumstümpfe, riesiger Spinnenkokons und unheilvoller Stille haben sich zwei Urlauber verirrt. Vögel (!) zerschellen auf der Windschutzscheibe, Nachttiere kriechen durchs Zelt. Plötzlich verschwinden Miturlauber spurlos. Das Unterholz als Ort lauernder Schockeffekte à la Mr. Suspense wird in „Long Weekend“ zur Falle. Ein moribunder Schocker, dieser Film des australischen Regisseurs Colin Eggleston. Die Streitereien eines Paares und ihre Konfrontation mit der unwegsamen Küstenregion bilden den Hintergrund zu einer Zivilisationskritik mit stark moralischer Schlagseite. Schuldkomplexe wegen einer kurz zuvor vorgenommenen Abtreibung spalten das Paar, und eine immer dämonischer und fordernder erscheinende Buschwelt vervollständigt den düsteren Stimmungscocktail. Der 1987 entstandene Film wirkt mit seinen Seventies-Kleidern und dem bemühten Heile-Welt-Getue der Protagonisten inmitten einer sich scheinbar bösartig gebärdenden Natur allerdings sehr old-fashioned.
Das Australisch-Neuseeländische Filmfestival zeigt neben Historischem wie „Picknick am Valentinstag“ (Australien 1975) vor allem Produktionen aus den Siebzigern und Neunzigern, wie „Das Piano“ (Frankreich/Australien 1992), „Die letzte Kriegerin“ (Neuseeland 1994) oder „Heavenly Creatures“ (Deutschland/Neuseeland), die den Ruf der Region als neues Boomland des Films begründeten. Damit starten die Kinos Balázs Mitte, Filmkunst 66, Blow Up und das Freiluftkino im Podewill eine Reihe, die in Zukunft auch aktuelle Produktionen zeigen wird.
Auch in der Falle befindet sich die junge Heldin von „Fistfull of Flies“ (1996). Maria (Tasma Walton), die sich Mars nennt, lebt als familiärer Alien mit ihren italo- australischen Eltern in einem Provinznest namens Cider Gully, in dem alle gewisse Obsessionen haben.
Mars' Mutter ist der wandelnde Insekten-Terminator, der Vater ein gewalttätiger Despot, der mit der Gürtelschnalle Gericht hält. Ständig verfolgen die Eltern sie mit ihrer Hysterie um das real existierende Hymen. Pubertät als surrealer Trip, der jeden Moment so wirkt, als müßte diese moderne Alice im Horrorland endlich für ihre Qualen und Mühen auch belohnt werden und aufwachen dürfen. Später fungiert der Film als Medium der Wunscherfüllung. Wenn es real auch nur Daddys phallusmäßig gut bestückte und exorbitante Gartenzwergsammlung trifft, erfüllt der Film doch alle Kriterien eines guten „Revenge- Movies“.
Regisseurin Monica Pellizzari – selbst Tochter italienischer Einwanderer – haut mit jahrelang angestauter Wut drauf. Dabei liefert sie trotzdem kein schwarzweißes Rührstück ab, sondern eine detaillierte Familienfarce, die Querverbindungen zu dem ebenfalls gezeigtem Film „Muriels Hochzeit“ (Australien 1994) zuläßt.
Auch Überraschungserfolge wie „Priscilla, Queen of the Desert“ (Australien 1993), das schwule Roadmovie im australischen Outback, sind im Programm. Und der Film „Samoa“ („Flying Fox in the Freedom Tree“, Samoa/ Neuseeland 1992), der erste Spielfilm von der Südseeinsel, läuft als deutsche Uraufführung. Es ist die Geschichte eines individuellen Todes, die zugleich vom Verschwinden traditioneller samoanischer Vorstellungen und kultureller Prägungen berichtet.
Im Stil einer bildreichen Moritat erzählt Pepe (Faifua Amiga jr.), ein junger samoanischer Mann aus dem Städtchen Sapepe, vom Krankenhausbett aus in Rückblenden die Geschichte seiner Rebellion gegen kolonialistische Bevormundung. Anstatt als Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmannes in dessen Busineß einzusteigen oder die Segnungen des nach britischem Vorbild aufgezogenen Schulsystems zu würdigen, zieht er es vor, mit seinen Freunden das Städtchen in James-Dean-Attitüde mit kleinen Überfällen und Raufereien unsicher zu machen. Eigentlich aber sieht er seine wirkliche Berufung darin, ein „Tusitala“, also ein traditioneller Geschichtenerzähler, zu werden wie sein von allen verehrter Onkel Toasa. Er fühlt sich eher den samoanischen Naturgottheiten als der weltlichen Gerichtsbarkeit verpflichtet.
Die Romanverfilmung von Martyn Sandeson setzt den von Lokalkolorit strotzenden plastischen Aufnahmen des ländlichen Alltags und der Enge des von westlichen Einflüssen bestimmten Kleinstadtszenarios die Archaik der riesigen, menschenleeren Lavafelder entgegen. Mit umherwandernden langen Einstellungen trägt sie der übermächtigen Naturkulisse Rechnung, die auch Robert Louis Stevenson und die Missionare einst hierherlockte.
„Down Under“, 1. Australisch- Neuseeländisches Filmfestival, vom 1.8.–19.8. in den Kinos Filmkunst 66, Balázs, Blow Up, Freiluftkino Podewil
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