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„Warum nicht WM 2006?“

Nach einem Auftakt-Sieg peilt Zweitligist St. Paulis Präsident Weisener Weltniveau an – zunächst mit neuem Stadion  ■ Von Folke Havekost

Hamburg (taz) – Manchmal wird einer ganz schnell zum Publikumsliebling. Der FC St. Pauli hatte Tennis Borussia Berlin gerade 1:0 geschlagen, die Kicker waren auf dem Weg in die Kabinen, da rannte ein Zuschauer entschlossen auf die Nummer 6 des FC St. Pauli zu. „Das laß ich mir nicht nehmen“, hechelte er, erreichte Neuzugang Markus Lotter und komplimentierte: „Sie haben stark gespielt!“

Die Ehrerbietung mit respektvoller Distanz war dem Spiel angemessen: Es erzog zu Bescheidenheit. In der Tat war Lotter in der wenig spektakulären ersten Hälfte der auffälligste Spieler auf dem Platz. Nach dem Seitenwechsel lieferte der Grätschenkönig mit einem verpaßten Zuspiel aber auch TeBes Kreso Kovacec die beste Gelegenheit der Gäste, die Keeper Klaus Thomforde jedoch vereitelte. So blieb es beim 1:0, das der zur Pause in den Angriff beorderte US-Amerikaner Michael Mason erzielt hatte (68.).

Was sagt der ergebnisorientiert betrachtet geglückte Zweitliga- Saisonstart über St. Paulis Perspektiven? Nicht zu übersehen waren die Probleme im Mittelfeld. Ohne die Abgänge Carsten Pröpper und Christian Springer, die vor einem halben Jahr noch als Regisseurs-Tandem gehandelt worden waren, fehlte die spielerische Linie. Tim Gutberlet, dem der Verein das Trikot mit der 10 gab und so Vergleiche mit „Meister Pröpper“ provozierte, saß auf der Bank. Sein Vertreter Thomas Puschmann empfahl sich ebenfalls nicht als Spielmacher. Das erklärt, warum der kampfstarke Lotter (28) den größten Applaus einheimsen konnte.

Lotter wird mit seiner mittellangen Haarpracht in der Lokalpresse eher als Model denn als Mittelfeldspieler porträtiert, erinnerte aber nichtsdestotrotz an die Vokabeln „Kampfgeist“ und „verschworener Haufen“ – also an die vermeintlichen St.-Pauli-Tugenden aus der Zeit, als der Mythos um den Kiezklub entworfen wurde.

Zu diesem Mythos gehört auch das marode Stadion am Millerntor, das nun – nach jahrelanger Ankündigung – im Winter umgebaut werden soll. Die Finanzierung des 85-Millionen-Projektes sei gesichert, verkündete Vereinschef Heinz Weisener am Wochenende. Die Arena mit einer Kapazität zwischen 30.000 und 35.000 Plätzen soll mit Teilklimatisierung und einem herausfahrbaren Dach ausgestattet sein. „Bundesweit vorreiterhaft“ seien die Pläne, begeisterte sich der hauptberufliche Architekt Weisener und versprach, „alles zu tun, damit St. Pauli der Hauptgewinner ist“. Selbst die Bewerbung um Spiele bei der WM 2006 werde überlegt. „Fürs Endspiel werden wir wohl nicht attraktiv genug sein“, visionierte Weisener, „aber warum nicht für andere Begegnungen?“

Die eigene Mannschaft, kündigte der Boß an, werde im Zuge des Umbaus „mit zwei bis drei Spielern im zweistelligen Millionenbereich“ verstärkt. Eine wohl notwendige Investition. Denn gemessen am großen Entwurf des Präsidenten nahm sich das Fazit des Trainers über das Spiel gegen den Aufsteiger aus Berlin äußerst bescheiden aus. Gerhard Kleppinger befand nur, er sei „heilfroh über die drei Punkte“.

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