In den Hals beißen

■ Wo früher Punks waren, machen sich Zeitungswerber breit. Stefan ist noch da

Polizisten verjagen immer häufiger die Punkdienstleister, die vor den Berliner Supermärkten und Kaufhäusern schnorren. Wo die Punks waren, kommt dann meist ein Stand der „Berliner Zeitung“ hin. Im Gegensatz zu den Punkern sind deren Werber oft penetrant. Stefan ist 22 und Punker und steht jeden Tag vor dem Kaisers-Markt am Kreuzberger Marheinekeplatz. Er hält den herauskommenden KundInnen die Tür auf. Sein Schäferhund ist zehn Monate alt und heißt „Montgomery Burns“, hört allerdings nicht auf seinen ganzen Namen. „Auf Monty hört er immer.“ Meist ruft ihn Stefan aber „Atze“.

„Atze, trab mal an hier! Der hat nur ein bißchen gelesen. Ich sag' dazu immer lesen, wenn die Hunde da die ganze Zeit am Boden schnüffeln. So wie Zeitunglesen. Monty ist mein bester Kumpel. Der haut nicht ab, paßt auf mich auf. Wenn ich zum Beispiel mal richtig besoffen bin, bleibt er an jeder Kreuzung stehen. Der bringt mich dann regelrecht nach Hause. Voll witzig. Er ist so wie der Hund von Lucky Luke. Voll der Trottel! Er hat zum Beispiel Schiß vor Kindern. Geht er nicht bei. Macht er einen Riesenbogen rum. Die sind ihm irgendwie nicht geheuer. Die rennen ja einfach auf ihn zu. Und er rennt dann regelrecht weg. (Zeigt auf die Hundekette, die er um den Hals trägt.) Mich kannst du auch an die Leine nehmen. Aber das mußt du erst mal probieren. Die Kette ist geil. Das ist fast so 'ne Provokation für die Leute, die geschniegelte Ketten haben mit kleinen Gliedern, die viel kosten. Ich mag halt große Glieder. Da kosten ein paar Zentimeter ein, zwei Mark. Bei den anderen kosten die paar Zentimeter in die Tausende. Ist wie gesagt eine Provokation: Die Leute kieken blöde und haben selber was um den Hals.

Mit Hund brauch' ich am Tag so zwanzig, dreißig Mark. Danach hör' ich auf, denn so viel Spaß macht das mir ja auch nicht. Außer ich bin gerade so voll guter Stimmung und guter Laune. Leicht angeheitert oder so. Schnorren, wenn ich nüchtern bin, geht sowieso nicht so gut. Du stehst dann da so; am besten morgens noch, voll verpennt. Da trink' ich lieber ein paar Magenbitter, und dann geht es schon wieder besser. Ein, zwei Bier und drei Boonekamps – das muß es schon sein, bevor ich loslege. Das Gute ist, daß ich sowieso schon meine Stammleute habe. Bei denen brauch' ich manchmal schon gar nichts mehr sagen. Das ist anders, wenn du neu oder an anderen Plätzen bist. Grad an U- Bahnhöfen. Da ist ja immer wechselnder Verkehr. Hier sind es ja meist immer die gleichen, die einkaufen gehen. Ich hab' noch einen Kumpel, mit dem ich mich beim Schnorren abwechsel. Wir halten uns gegenseitig die Plätze frei. Er zum Beispiel ist drauf und braucht immer ein bißchen mehr Geld. Bei uns bleiben viele stehen und quatschen ein bißchen. Manchmal nervt das sogar, weil du dann zu nichts kommst. Die haben irgendwie Langeweile zu Hause und sabbeln mir den Kopf voll. Vor allem Ältere. Wenn jemand sagt, warum arbeitest du nicht, sag' ich nur: Kiek mal Nachrichten, dann weißt du, was los ist. Auf solche Diskussionen lass' ich mich gar nicht mehr ein. Was meinst du, was du da manchmal für Sprüche hörst? Das nehm' ich den meisten auch gar nicht übel. Einmal hab' ich einen Fleischknochen geholt in der Markthalle und hab' dem Hund den dann gegeben, und auf einmal sagt so ein Typ: ,Da sieht man ja, wie wenig Geld ihr habt, wa?‘ – ,Bist du noch ganz dicht?‘ Auf der einen Seite schimpft er immer, wir würden unsere Hunde mißhandeln, und wenn du ihm mal was Gutes tust, heißt es dann wieder, wir würden Kohle ohne Ende haben. Die denken manchmal echt, nur weil wir die manchmal anbrüllen, würden wir die mißhandeln. Aber kiek dir an: Wie haben sie ihre Kinder erzogen? Da haben sie auch immer geschrien. Sonst herrscht ja keine Ordnung. Ich behandle den Hund schon ziemlich streng, aber nur mit Worten. Ab und an schubs' ich ihn auch mal mit den Füßen. Dann ist er gleich am Heulen. Der ist voll die Heulsuse. Einmal hat er mich angeknurrt. Dann hab' ich ihm die Beine weggerissen, ihn auf den Rücken gelegt und ihm in den Hals gebissen. Seitdem hab' ich nie mehr ein Knurren von ihm gehört. War mal ein Tip von einem Kumpel. Eigentlich geh' ich ja wegen dem Hund nicht arbeiten. Ich mein', ich arbeite ja den ganzen Tag. Aber hier kann ich ihn ja mitnehmen.

Ich geb' sechs bis acht Mark am Tag für ihn aus. Er kriegt hauptsächlich Frischfleisch: Schweineohren und Blättermagen. Da kostet das Kilo so drei bis vier Mark. Ich könnte natürlich auch einen Sack Trockenfutter kaufen. Zwanzig Kilo für fünfzig Mark. Da hätte er für zwei Wochen genug. Aber nur Trockenfutter fressen? – Ist doch blöde. Wenn ich vor Kaisers stehe, läuft der Hund manchmal eine halbe Stunde allein rum. Das ist voll witzig. Dann geht er alleine pinkeln. Wo ich stehe, macht er das nicht. Das hab' ich ihm beigebracht. Der kackt auch nicht mitten auf die Straße.

Wenn dieses Jahr bei der Bundestagswahl APPD (Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands) drinne ist, wähl' ich die auf jeden Fall. Sonst würde ich eher einen ganz großen Strich drüber machen. Besser, als wie gar nicht zu wählen. Vor allem muß in Berlin endlich mal die CDU weg. Und unser General Schönbohm... Inzwischen kommen die Bullen ja so an: Du bist eine Beleidigung des Stadtbildes.

Zum Bund will ich auf keinen Fall. Da geh' ich lieber in Knast. Mit dem Hund wär' das dann auch nicht so ein Problem. Den bring' ich dann zu so einer Fickfreundin. Das sag' ich immer dazu, weißt du. Da würde es schon gehen.“ Detlef Kuhlbrodt