piwik no script img

Das Bier zu Pommes rot-weiß

Kultiger Anti-Trend: Die neue Astra-Werbung setzt auf prolliges Kiez-Image  ■ Von Silke Mertins

Werner Henne kann man sich an einem Sommertag gut im Breitrippenhemd vor einer Schale Curry-Wurst an der Pommesbude vorstellen. Oder beim Würstchen-Grillen auf Balkonien. Ein Glas Champagner würde dem Betriebsratschef der Bavaria-St.-Pauli-Brauerei hingegen nicht stehen.

Als seine Brauerei auf dem Kiez vergangenes Jahr vom Mutterkonzern Brau und Brunnen dichtgemacht werden sollte, heizte Henne den Managern und Politikern derart ein, daß sich der Hamburger Senat am Ende gezwungen sah, die Brauerei übergangsweise zu übernehmen und selbst einen Investor zu suchen. Denn Henne und seine Jungs wollten einfach nicht einsehen, daß ihr wirtschaftlich gesunder Betrieb geschlossen werden soll, nur weil das Gesamtunternehmen sich verkalkuliert hat.

Werner Henne könnte für die neue Astra-Werbekampagne Modell gestanden haben und hat es in gewisser Weise auch. „Die Art wie die Belegschaft für den Erhalt der Bavaria gekämpft hat, hat uns bei der Kampagne inspiriert“, sagt Torben Bo Hansen, Marketing-Leiter bei Bavaria. Während andere Biermarken krampfhaft bemüht sind, den prolligen Stammtischcharakter, den der Gerstensaft im Gegensatz zum Wein nun mal hat, loszuwerden, setzt Bavaria auf das Gegenteil. „Alles andere würde man uns sowieso nicht abnehmen“, stellt Hansen fest. Weder der gestreßte Großstadtmensch, der sich für Jever („keine Staus, keine Kompromisse, kein anderes Bier“) in die Nordseeküsten-Dünen plumpsen läßt, noch die auf jung gemachte Lifestyle-Werbung der anderen Premiumbiere („Schick mir doch eine Flasche von die Bier, die so schön hat geprickelt in mein Bauchnabel“) würde zu dem St.-Pauli-Bier passen. Und auch von einer Reklame wie der der Holsten-Brauerei, die mit der Behauptung des Gegenteils der allgemeinen Wahrnehmung („einfach edel“) wirbt, sieht man bei Astra ab. „Wir passen nun mal eher zur Silbersackstraße als zur Elbchaussee.“

Eine umfangreiche Marktforschung hat genau das ergeben. Die Leute sehen in Astra das Bier zu Pommes rot-weiß. In Werbung umgesetzt bedeutet das: Plakate mit Bierdeckeln von Säufern, tätowiertem Mündern, fettigen Kartoffelstücken, Bierbäuchen am Grill, jungen Schlägern und Peep-Show-Besuchern, die aussehen, als läge ihr IQ knapp über der Teppichkante. „Astra. Was dagegen?“ heißt der Slogan. Prollig-Provokantes als Kult.

Die Kampagne für bekennende Kiez-Fans ist die erste, die überhaupt für Astra gestartet wurde. Bisher, auch das hatten die protestierenden Bierbrauer stets beklagt, stand es im Schatten der Edelmarke Jever und wurde nicht beworben. Schon vor der neuen Offensive stieg der Astra-Konsum im Mai 1998 auf 29.468.500 Liter – 125.000 Liter mehr als im Vorjahr. An Bürgermeister Ortwin Runde (SPD), augenblicklich „Besitzer“ der Bavaria, kann es aber nicht liegen. Er bevorzugt Rotwein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen