"Zeitungen wie Pilze bekämpfen"

■ Irans Journalisten brechen Tabus: Erstmals auch mit Kritik an Mordaufruf gegen Rushdie

„Die Justiz hält ihn für schuldig, aber sie hat sich entschieden, ihm zu verzeihen.“ Mit dieser eher ungewöhnlichen Begründung eines Sprechers verkündeten gestern Irans Ermittlungsbehörden, daß sie den Herausgeber der Wochenzeitung Khaneh nicht weiter verfolgen würden. Mohammad-Reza Zarei war wegen eines kritischen Leserbiefs angeklagt worden, in dem unter anderem der Mordaufruf gegen Salman Rushdie kritisiert worden war.

Seit der Wahl des gemäßigten Präsidenten Mohammed Chatami testen immer mehr iranische Zeitungen im innenpolitischen Konflikt zwischen Liberalen und Radikalen ihren Spielraum aus — und werden mit Gerichtsverfahren überzogen. Im Falle von Khaneh führte dies zu der gütlichen Regelung zwischen den Justizbehörden und dem Herausgeber. Zarei war Ende Juli nach dem anonymen Abdruck einer Leserzuschrift festgenommen worden. Daraufhin hatten die Behörden ihm vorgeworfen, den verstorbenen Revolutionsführer Ayatollah Chomeini beleidigt zu haben.

Nachdem Zarei gegen eine Kaution von 6.500 Dollar freigelassen wurde, folgte gestern die Erklärung der Behörde. Vor Gericht hatte Zarei am Montag erklärt, es handele sich um ein Mißverständnis. Niemals habe er „unseren geliebten Imam“ (Chomeini) beleidigen wollen.

In dem Leserbrief, den Khaneh (Das Haus) am 15. Juli abgedruckt hatte, äußerte der Schreiber seinen Unmut über die Politik Chomeinis. Er kritisierte namentlich das Schicksal der jungen Soldaten im Krieg gegen den Irak und den Mordaufruf gegen Rushdie. „Warum soll ich einem Mann folgen und gehorchen, der Iran in einen terroristischen Staat verwandelt hat, indem er ein Todesurteil gegen Salman Rushdie aussprach?“ heißt es in dem Brief.

Nach der iranischen Verfassung ist Kritik an den geistigen Führern des Landes strafbar. Öffentliche Kritik an dem Mordaufruf gegen Rushdie gab es bislang im Iran kaum. Hinzu kommt, daß es keine religiöse Autorität gibt, die die Fatwa Chomeinis aufheben könnte. Somit hat Khaneh mit der Veröffentlichung des Leserbriefes neun Jahre nach dem Tod Chomeinis gleich zwei Tabus gebrochen. Das Blatt besteht seit circa einem Jahr und gilt als Sprachrohr junger iranischer Journalisten, wobei Herausgeber Zarei ein konservativer Geistlicher ist. In einem Interview gegenüber der BBC gab Zarei kürzlich zu verstehen, wenn der Leserbrief dazu geführt habe, daß die Gefühle der Bevölkerung verletzt worden seien, wolle er sich dafür entschuldigen. Er sei jedoch der Meinung, die junge Generation könne nur durch Fragen und Aufklärung das islamische System verstehen.

Die Veröffentlichung des Leserbriefs hatte im Iran eine Menge Aufregung ausgelöst. Studenten der religiösen Schulen in Qom und anderen Städten schickten geharnischte Protestbriefe. Der Fall rief sogar die Organisation der Wächter der Islamischen Revolution auf den Plan. Sie forderte in einem Kommuniqué eine harte Strafe für den Herausgeber von Khaneh: „Die Justiz und die Regierung dürfen nicht zulassen, daß kranke und analphabetische Elemente den islamischen Heiligen beleidigen.“

Am vergangenen Freitag drohte der Oberste Richter, Ayatollah Mohammed Jazdi, noch gegenüber Kulturminister Ataollah Mohajerani, er solle seinen liberalen Kurs ändern und die „Zeitungen bekämpfen, die wie wurzellose Pilze aus dem Boden sprießen und die Entwurzelung des Islam herbeischreiben“. Wenn der Kulturminister seiner Aufgabe nicht nachkäme, würden die Familien der Märtyrer der Islamischen Revolution nicht tatenlos zusehen, wie Journalisten in das reine Blut der Opfer treten. Kambiz Behbahani