„Am wichtigsten waren die Frauen“

■ Nie ein schwules Theater gewesen: Corny Littmann über zehn Jahre Schmidt Theater und andere Mißverständnisse

Sag bitte und ich sing hieß das Programm, mit dem das Schmidt Theater am 8.8.88 erstmals seine roten Plüschsessel von 240 Gästen wärmen ließ. Umgekehrt hat es in den vergangenen zehn Jahren nicht immer funktioniert: Nicht selten saß man auch am Spielbudenplatz 24 und flüsterte inbrünstig „danke“, ohne daß die auf der Bühne aufhören wollten. „Unterhaltendes Volkstheater mit einem Hauch von Kinder des Olymp und Café Keese“ hatten Corny Littman und Ernie Reinhardt, bis 1988 als Familie Schmidt unterwegs, in ihrem neuen Domizil versprochen. Wochentags ein Hauptprogramm aus Gastspielen und Eigenproduktionen, um Mitternacht eine Tresenshow und am Wochenende die Schmidtshow, die ab 1990 sogar über den Bildschirm flimmerte. Zu dem Zeitpunkt waren die wichtigsten Figuren des Theaters schon erfunden: Ernie Reinhardt, der das Schmidt vor drei Jahren für eine Fernsehkarriere bei Vox verließ, war bereits zur stilecht alternden Diva Lilo Wanders geworden, die bis dato unbekannte Jutta Wübbe hatte sich zu Everybody's Darling Marlene Jaschke gemausert.

Auch das Theater wandelte sich, nicht zuletzt durch die Fernsehübertragungen und die aus dem Medium resultierenden oder eingebildeten Zwänge und Folgen. Aus der „subversiven Homoshow wurde eine öffentlich-rechtliche Zote auf Ferienklubniveau“, schrieb die taz zur Absetzung der Sendung 1993, aber da hatten die alternativen Butterfahrten aus der Provinz zum Einmal-Obzön-Lachen schon den Kiez erobert. Gefährlich war da selten was, öfter mal bieder und ästhetische Neuerung ein Fremdwort. Aber zwischen den nicht enden wollendenPerlen der Kleinkunst blitzte auch immer wieder echte Klasse auf: Tim Fischer wurde quasi im Schmidt geboren, Annie Sprinkle gab hier ihr Deutschlanddebut, und es gelang eine überzeugende Edith Piaf-Revue, die heute am 1991 eröffneten 600-Plätze-Schwesterhaus Tivoli spielt. Die Besten und ein paar mehr laden von Freitag (ab 19.30 Uhr) bis Sonntag (ab 12 Uhr) gratis zur Geburtstagsparty auf den Spielbudenplatz. ck

taz hamburg: Sie betonen gerne mit einem gewissen Stolz, daß zur Gründung des Schmidts niemand dem Theater mehr als sechs Monate Überlebenschancen einräumte. Wieviele Monate haben sie dem Projekt eigentlich gegeben?

Corny Littmann: Wir haben uns überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wie lange dieses Theater bestehen würde. Wir haben gedacht, es gibt uns, und das wird nicht so schnell aufhören. Den Mietvertrag haben wir über zehn Jahre abgeschlossen.

War Ende der achtziger Jahre die Zeit einfach reif für ein schwules Theater?

Also, das Schmidt ist, allen Gerüchten zum Trotz, kein schwules Theater. Es ist Unterhaltungstheater, in dem Schwule selbstverständlich ihren Platz haben. Die Zeit für ein zeitgemäßes Unterhaltungstheater war sicherlich da. Alles andere – der Standort Reeperbahn, die Räumlichkeiten selber – war natürlich von Zufälligkeiten geprägt, aber nicht unmaßgeblich für den Erfolg. Das Schmidt ist ja vielfach in anderen deutschen Städten kopiert worden, aber die meisten Versuche sind fehlgeschlagen.

Ihre Grundidee, neues Volkstheater zu machen, ist bis heute die gleiche. Was hat sich geändert, was mußte sich ändern?

Das Wesentliche ist, sich von keinem, weder Publikum noch Künstlern, darauf festlegen zu lassen, was man denn zu tun hätte. Und wenn man die Geschichte des Schmidts verfolgt, sieht man auch, daß wir sehr unterschiedliche Programme mit Erfolg gespielt haben. In einer Bandbreite von Tim Fischer über MäGäDäm bis hin zur Sexkünstlerin Anni Sprinkle.

Das Schmidt als „Theater, in dem Schwule selbstverständlich ihren Platz haben“ steht heute in einer Gesellschaft, in der schwul oder lesbisch sein auch ein Stück selbstverständlicher geworden ist. Ist auf dem Theater eine neue Ästhetik gefordert?

Sicherlich unterliegen wir gesellschaftlichen Veränderungen. Es wäre ja absurd, wenn wir das, was wir in den Siebzigern mit der Gruppe Brühwarm gemacht haben, in den Neunzigern ernsthaft wieder auf die Bühne stellen würden. Es gibt Fragen, die sind für das Theater mindestens so wichtig gewesen, wie die schwule Identität seiner Betreiber, um die jeder weiß und die man ja nicht immer plakativ vor sich hertragen muß. Für die Entwicklung des Theaters ist die Präsenz von Frauen entscheidender gewesen. Im Schmidt und Tivoli haben in den letzten Jahren immer mehr Unterhaltungskünstlerinnen ihren Platz gefunden. Und das ist etwas, was man wollen muß.

Die Leute, die bedauern, daß das Schmidt von einer subversiven schwulen Bühne zum Schenkelklopftheater für alle geworden sei, halten sie also eher für verbrettert?

Wir haben uns nie als subversive schwule Theatermacher definiert. Wir haben immer gesagt, wir sind schwule Darsteller, die mit einer schwulen Brille auf die Welt gucken. Und deshalb aus einer schrägen Perspektive gucken.

Mit den Freien Gruppen „Brühwarm“ und „Familie Schmidt“ sind Sie und Ernie Reinhardt lange durch die Republik getingelt. Was gab 1988 den Ausschlag für ein festes Haus?

Wir waren des Tingelns müde. Plötzlich war da die Möglichkeit, dort zu arbeiten, wo wir lebten und das schien uns sehr attraktiv. Bereut haben wir es nicht.

Sie nennen das Schmidt noch immer eine Freie Gruppe – eine Freie Gruppe an einem festen Haus. Das klingt ein bißchen irrsinning bei mittlerweile zwei Häusern mit knapp 900 Plätzen und einem Umsatz von 13 Millionen Mark.

Seit drei Jahren haben wir ein kleines, feines Hausensemble, das nach den Prinzipien arbeitet, die wir damals erfunden und gepflegt haben: Die Darsteller diskutieren und bringen sich in den Produktionsprozeß viel mehr ein, als das an einem Stadttheater üblich ist.

Dort hat sich ja auch eine Menge geändert, und es gibt immer mehr Überschneidungspunkte mit alternativen Produktionen, sowohl was die Produktionsweise als auch die Stückwahl angeht. Um die Rechte von „Irma Vep“ und „Indien“ beispielsweise haben sich sowohl das Schmidt als auch das Schauspielhaus bemüht.

Natürlich ist es begrüßenswert, daß sich Arbeitsweisen im Stadttheater verändert haben. Die Frage nach der Inhaltlichkeit ist aber eine andere. Die verändert sich mit Subventionen, bzw. Subventionskürzungen. Auch die Hamburger Theater fühlen sich genötigt, mehr leichte Kost zu servieren, um ihre Betriebe finanzieren zu können. Das steht im Widerspruch zu ihrem staatlichen Auftrag. Und zu den nicht-subventionierten Häusern.

Warum war es ihnen lange so wichtig, keine Subventionen zu bekommen?

Die Idee, daß Subventionen der reine Segen sind, hat ja mit der Realität der Theater nichts zu tun. Wer einmal eine Taxifahrt mit der Kulturbehörde abrechnen mußte, weiß, warum wir keine Subventionen wollen. Außerdem wecken Subventionen Begehrlichkeiten: Nach geringerem Eintritt und höheren Gagen. Es kommt ein Aspekt ins Theater, den ich nicht als kreativ empfinde. Mir ist der direkte, durchschaubare Austausch mit Publikum und Künstlern lieber. Das Prinzip müßte sein, daß die Kulturbehörde dann hilft, wenn ein Privattheater in Schwierigkeiten ist.

Was war die größte Krise des Schmidts? Gab es einen Punkt in den vergangenen zehn Jahren, an dem Sie schmeißen wollten?

Es gibt jedes Jahr einen Punkt, an dem ich abbrechen will: meinen Urlaub. Da frage ich mich immer, ob ich das, was wir hier machen, eigentlich weitermachen will. Es sind in aller Regel die Menschen, die mich halten.

Ihr Mietvertrag wurde noch einmal um zehn Jahre verlängert. Können sie sich weitere zehn Jahre Schmidt vorstellen?

Wir denken ja immer im Spagat: als Mieter langfristig, als Künstler kurzfristig, als Unternehmer mittelfristig und ganz persönlich versuche ich eben, mir einmal im Jahr über Sinn und Unsinn meines Tuns klarzuwerden. Da ist nicht ausgeschlossen, daß ich eines Tages etwas ganz anderes machen will. Ich habe zum Beispiel große Lust, eine Oper zu inszenieren. Aber jetzt kommt erstmal die Pension Schmidt, eine monatliche Soap-Opera, die auf der Reeperbahn spielt. Das ist eine Herausforderung für uns.

Interview: Christiane Kühl