Madonna! Von Fanny Müller

Sicher, Krankenhaus ist Krankenhaus, aber in Italien muß man das Klopapier mitbringen. Und Messer und Gabeln und Teller und Tassen. Und möglichst auch das Essen. Da ich aber meine Mahlzeiten durch einen Tropf erhielt, was nicht schön war übrigens, war das nicht mein Problem. Außerdem wurde ich auf der Stelle von der Familie Signora Ritas, die in dem anderen Bett lag, adoptiert und akkurat versorgt. Die Mitglieder von Signora Ritas Familie standen zwölf Mann hoch rund um die Uhr zur Verfügung, und draußen auf dem Flur warteten vier in Reserve, falls der Pegel drinnen unter zwölf sinken sollte. Das tat er manchmal, weil die weiblichen Angehörigen alle halbe Stunde verschwanden – zum Frisör, glaube ich. Unten vor dem Eingang sei eine Frisurenkontrolle und dahinter ein Frisörladen, behaupteten meine britischen Besucher (mickrige drei Personen, was meinen Status nicht gerade erhöhte), und Frauen würden erst mal durch diesen Laden gejagt, sonst dürften sie das Krankenhaus nicht betreten.

Mein Status war deshalb so niedrig, weil ich kein Italienisch sprechen konnte. Der Chefarzt, der das in Italien vorgeschriebene Aussehen von Chefärzten besaß, also zu gleichen Teilen aus Vittorio Gassmann – erinnert sich noch jemand? –, aus Herrn Agnelli und aus Vico Torriani zusammengesetzt war und dessen roten Lamborghini, mit dem er zum Golfen fuhr, man deutlich vor Augen hatte, wenn er zur Visite auftauchte, war geradezu gelähmt vor Entsetzen, daß ich die einzige Sprache, die wirklich eine ist, nicht beherrschte. Immerhin kann ich auf französisch Essen bestellen, auf englisch über andere Leute reden und auf deutsch über quasi alles, was meine Freunde schon oft veranlaßt hat, „Nun halt doch um Gottes willen endlich mal die Klappe“ zu mir zu sagen. Ich hatte dem Dottore also Englisch, Französisch und Spanisch angeboten – wobei Spanisch ein bißchen gelogen war, aber ich habe mich schon für einen Volkshochschulkurs Spanisch im Herbst angemeldet, wirklich wahr – und beinahe noch ein paar mir unbekannte Sprachen, bloß um anzugeben, aber ich merkte noch rechtzeitig, daß ihn das nicht beeindrucken würde. Als ein niedrigrangiges Arztmännchen mich ansprechen wollte, wies der Chef es gleich zurecht: „No parla! Tedesca!! Muller!!!“, was übersetzt etwa heißt: „Eine Analphabetin, zudem noch Hunnin und mit einem grauenhaften plebejischen Namen.“ Beinahe hätte ich „Arschloch“ gesagt, dann fiel mir aber ein, daß dieser Begriff im Zuge der europäischen Einigung womöglich in den allgemeinen abendländischen Wortschatz eingegangen ist wie „fuck“, und entschied mich im letzten Augenblick für „blöder alter Sack“.

Schließlich lernte ich dann um ein Haar doch noch Italienisch, denn die Briten hatten ein deutsch- italienisches Wörterbuch aufgetrieben. Darin konnte man einerseits wichtige Sachen wie Muffenkupplung, Janitscharenmusik und Glimmleuchtröhren nachgucken, andererseits aber auch Wörter finden, von denen ich nicht mal weiß, was sie auf deutsch bedeuten (Federbesen). Ja, schon gut, Muffenkupplung könnte ich so aus dem Stand auch nicht direkt erklären.

Ausgereicht haben dann letzten Endes „Madonna!“ und „Dio!“. Das paßte immer. „Cazzo“ durfte ich wegen der Signora Rita nicht sagen.