Flirt, Krieg und Vermischung

Eben noch ein Schlüsselbegriff, scheint Lifestyle schon wieder in Auflösung begriffen. Das Kunsthaus Bregenz widmet sich internationaler Kunst in den Grenzbereichen von Mode, Design, Styling, Interieur und Werbung. Von der Haßliebe zwischen Kunst und Lifestyle  ■ Von Nike Breyer

Eine gepolsterte Sitzgruppe, im Hintergrund Musik, ein buntes Arsenal von Kunst- und Lifestyle- Magazinen liegt aus. Doch wir sind nicht beim Frisör, sondern in der Eingangshalle vom Kunsthaus Bregenz, kurz KUB. Die ausliegenden Magazine sind echt, die Sitzmöbel von Künstlern gestaltet. Das Ganze ist Teil der Ausstellung „Lifestyle“, die sich zu untersuchen vorgenommen hat, welche neuen ästhetischen Orientierungen sich abzeichnen, wenn Künstler sich in ihren Werken diesem Schlüsselbegriff nähern. Denn – so die These der Ausstellung – Lifestyle als verbindliche Repräsentationsästhetik ist in Auflösung begriffen.

Als in den 90er Jahren das Band zwischen Arbeit, Geld und Schönheit zerriß, heißt es in einem begleitenden Flyer, führten strukturelle Arbeitslosigkeit und ökonomischer Pessimismus zu einem Wandel der ästhetischen Selbststilisierung. Dies, eine wachsende Komplexität der Bedeutungen und eine extreme Beschleunigung der Neu- und Umbenennung von Waren, machen es immer schwieriger, sich über die Dinge des Alltags sozial zu verständigen. Die Krise von Lifestyle ist damit keineswegs nur eine Frage des Stils, sondern eine Frage des libidinösen und kommunikativen Zusammenhalts einer Gesellschaft, die als Konsumgesellschaft verfaßt ist.

In dieser Situation liegt es nahe, die Künstler als „Spezialisten für das Verhältnis von Ästhetik und Gesellschaft“ zu befragen. Denn zwischen Kunst und Lifestyle gibt es eine unentrinnbare Haßliebe, wird konstatiert: „Kunst muß sich, um Kunst zu sein, von anderen Ästhetiken abgrenzen, zugleich aber ihre Abgrenzung stets überschreiten. Die Unvereinbarkeit dieser beiden Regeln führt zu Flirt, Krieg und deren unendlicher Vermischung.“ Die läßt sich in Bregenz auf vier Etagen des schönen und strengen Glas-Beton-Baus von Architekt Peter Zumthor studieren. Dabei scheint der Anordnung der Exponate eine gewisse Symbolik zu unterliegen. Denn der Abstieg von der vierten Etage bis herunter zum Erdgeschoß korrespondiert unübersehbar mit einer Zunahme an Involviertsein der Arbeiten in einen kommerziellen Kontext. Bis die Kunst im Eingangsbereich schließlich ganz auf täuschend echte Lifestyle-Simulation heruntergekommen ist. Man darf vermuten, daß hier einmal mehr der traditionellen Hierarchie des High und Low geopfert wird. Trotzdem: Was auf dem Weg sichtbar wird, ist aufregend genug, um die Ungereimtheiten des Ausstellungskonzeptes zu vernachlässigen.

So präsentiert Gerwald Rockenschaub in der obersten Etage eine freie Installation, die er mit Markus Muntean und Adi Rosenblum speziell für diese Ausstellung konzipiert hat, eine Art großes Puppenhaus aus gelb getünchtem Sperrholz mit begehbarem Dachgeschoß, innen mit Kunstpelz tapeziert (hübsch, von Sylvie Fleurie) und Neonlichtinstallation mit Kabelsalat von John Armleder.

In den beiden mittleren Stockwerken werden diverse Möbelobjekte präsentiert, etwa eine Laubsägearbeit von Franz West, die auch als Bar funktioniert, wie am Eröffnungsabend unter Beweis gestellt werden konnte, dazu Tisch- und Sesselgruppen von Franz West und Heimo Zobernig, von dem auch Stahlobjekte zu sehen sind. Die fotografischen Arbeiten in diesem Ausstellungsbereich zeigen extrem unterschiedliches Profil und bewegen sich im Spannungsfeld von weniger frei bis komplett angewandt, wie etwa eine Serie von Auftragsarbeiten, die der Wäschehersteller Palmers an Künstler vergab. Riesenhafte, auf freischwebendes transparentes Textilgewebe aufgebrachte Fotos von Elfie Semotan zeigen dann Tänzer in Ganzkörperbodies von Peter Kogler beim Trampolinsprung auf einer Dachterrasse in New York. Das Megaformat grüßt zu den Plakaten in U-Bahnhöfen und an anderen Orten hinüber, die Figuren erscheinen als monströser Hybrid aus Catwoman und Lurchi.

Neben dieser eher spielerisch-eleganten Arbeit löst das Selbstporträt mit Lampe der Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen echte Beklemmung aus. In der dreiteiligen, schwarzweißen Fotoarbeit zeigt die mittige Aufnahmeserie von 1979/80 die Künstlerin vor einem Konkavspiegel, der ihre Körperpartien in eigenartig zentrifugaler und deformierter Verkapselung wiedergibt. Bilder, auf die man als Betrachter mit einer Mischung aus ästhetischer Faszination und psychotischer Beunruhigung antwortet. Spannend anzuschauen sind auch die Collagen von Daniele Buetti, der makellosen Frauengesichtern künstliche Brandwunden appliziert, oder Ike Udes getürkte Vogue-Cover. Die von ihnen ausgehende Irritation ruft die Macht der Bilder und Images ins Bewußtsein.

Im ersten Geschoß rückt schließlich die Mode als weiterer Crossover-Partner für die Kunst in den Gesichtskreis. Transparente, bedruckte Regenmäntel von Thomas Bayerle, ein Netzhemd mit Porzellanbrüsten von Ingeborg Strobl und fotografische Protokolle textiler Verwandlung von Cindy Sherman für das Modelabel Comme des Garçons aus dem Jahr 1994 umkreisen aus je unterschiedlichem Blickwinkel das immer publikumswirksame Thema Kunst am Körper-Bau.

In der Ausstellung Lifestyle geben die Künstler Einblick in ihre Liebes- und Haßbeziehung zur Schönheit des Alltäglichen, meint Museumdirektor Edelbert Köb im Begleittext zur Ausstellung. Damit sollen sie „an jener ästhetischen Intelligenz“ arbeiten, „die im Zeitalter nach dem Verlust aller Lifestyleverbindlichkeit das einzige Mittel ist, sich zu orientieren und handlungsfähig zu bleiben.“ Ausstellungsbeiträge auch von Designern als den konkreten Agenten jener ästhetischen Intelligenz hätten hier nicht geschadet.

Kunsthaus Bregenz bis zum 20.September