Ein Fall für's Rote Kreuz

■ Werder vor dem Sprung in den UEFA-Cup und in die neue Bundesliga-Saison

So traurig sind die Grün-Weißen wohl selten in einem internationalen Wettbewerb eine Runde weitergekommen: 3:0 bei den türkischen Kickern aus Samsun. Die Endrunde im UI-Cup ist erreicht, nun muß nur noch Vojvodina Novi Sad geputzt werden – aber so richtige Freude mochte nicht aufkommen. Kein Wunder. Denn so knapp vor dem Ziel, nach drei mageren Jahren mal wieder an die dringend benötigten europäischen Geldsäcke ranzukommen, und so kurz vor dem Start in die neue Bundesligasaison ist genau das eingetreten, was der ausgedünnte Werder-Kader kaum verkraften kann. Die komplette Offensivabteilung aus dem Mittelfeld ist ein Fall fürs Rote Kreuz.

„Wenn alle gesund bleiben...“ – so begann jeder Satz der Werder-Oberen, wenn die Sprache auf die Personalplanung für die neue Spielzeit kam. „Wenn alle gesund bleiben, dann reicht der Kader. Die Planungen sind abgeschlossen.“ Dumm nur: Von „alle gesund“ kann so gar nicht mehr die Rede sein. Jurij Maximov, zu recht hochgelobt, laboriert seit Februar an seinem maladen Knie. Seit vier Wochen bereitet sich die Mannschaft auf die Saison vor – Maximov steckt immer noch in leichtem Aufbautraining. Keiner weiß, ob, und wenn ja, wann, er je wieder fit sein wird. Da ist die Lage bei Christian Brand schon klarer. Nach dessen Schienbeinbruch beim UI-Cup-Spiel gegen die belgischen Berufskollegen aus Lommel steht die Prognose ziemlich stabil bei drei Monaten Pause. Und so lange wird nun auch Andy Herzog ausfallen, nachdem sich am Tag vor der Abreise nach Samsun herausgestellt hat, daß Herzogs operierter dicker Zeh zwar hält, nun aber ein Mittelfußknochen angeknackst ist. Maximov, Brand, Herzog weg – und schon ist kein Ideengeber mehr da.

Kein Wunder also, daß die Minen bei Werder bang und bänger werden. Sie waren das Risiko eingegangen, eine Reihe gestandener Spieler abzugeben und bis auf die Ausnahme Lody Roembiak nur unerfahrene Talente in den Kader zu holen. Im Vergleich zum Beginn der letzten Spielzeit hat Werder zehn Kicker ziehen lassen – und mit ihnen die Erfahrung von mehr als 1.300 Bundesligaspielen. Genau die Ausdünnung, die die Vereinsführung schon vor zwei Jahren angekündigt hat, sollte die Mannschaft wieder am Europapokal vorbeischrammen. Nun sieht es so aus, als müßten sie schon vor Beginn der Saison für dieses Risiko bezahlen. Entweder sportlich oder eben mit Mark und Pfennig. Denn Ersatz für die Mittelfeld-Kreativlinge ist jetzt erstens schwer zu besorgen und zweitens teuer.

Womit sich genau die zentrale Frage für den Verein stellt: die nach dem Geld. Wie gerne würde Manager Willi Lemke die Schecks über Fernseh-Tantiemen einstreichen, die der neue Werder-Vermarktungspartner ISPR für den Verein aushandeln soll. Allein – so einfach ist es nicht, dort hinzukommen.

Einerseits sind mit Reck, Labbadia, Ramzy, Pfeifenberger zwar Gutverdiener gegangen, deren Prämien und Gehälter nun im Vereinssäckel bleiben, von den Transfererlösen ganz zu schweigen. Andererseits hat das dritte europacuplose Post-Otto-Jahr doch Lücken in die grün-weiße Kalkulation gerissen. Und sowieso kann sich bis auf wenige Ausnahmen die gesamte Bundesliga angesichts der astronomischen Ablöseforderungen und galaktischen Gehälter in England, Spanien, Italien bestenfalls mit fußballerischem Mittelmaß aufpeppen. Was tendenziell dazu führt, daß die lukrativen europäischen Wettbewerbe nur schwer zu erreichen und noch schwerer zu bestehen sind. Eine Abwärtsspirale: Ein Verein spart sich schwach, um dann zu weiteren Sparmaßnahmen gezwungen zu werden, die ihn dann noch schwächer machen, und so weiter, und so fort.

Zu stoppen ist diese Entwicklung entweder mit einem ökonomischen Hasardspiel. Zu deutsch: Schulden. Oder aber es entwickelt sich wie weiland in Gladbach eine neue Fohlenelf. Nur eben im hohen Norden. Dann müßten sich die Werder-Fans an ganz neue Namen gewöhnen. Christoph Dabrowski zum Beispiel, U-19-Nationalspieler im (sic!) offensiven Mittelfeld. Oder Razundara Tjukuzi, den sie alle nur Raschi nennen, immerhin viermaliger namibischer Nationalkicker. Von Werders A-Jugend ist er direkt in den Profikader vorgestoßen, soll nach den bisherigen Planungen aber noch Erfahrungen bei Thomas Schaafs Amateuren sammeln. Aber was sind angesichts der Personalnöte bisherige Planungen noch wert? Zumal die Profis voll des Lobes sind: „Hörst, so aan Gegenspuiler, den haß i wie die Pest. Kaum hast den umspuilt, schon – schwupp – steht er wieder vor dir. Wie a Gummipuppn“, sagt der Herzog Andy. „Der Raschi haut im Training vorne die Dinger rein – unglaublich“, sagt Raphael Wicky, seit einem Jahr unverzichtbarer Stammspieler. Und der ist gerade mal 21 Jahre alt. J.G.