Viertagewoche ist gut für das Familienleben

■ Trotzdem müssen die Beschäftigten bei Volkswagen nun wieder länger arbeiten

Hannover (taz) – Läßt die Viertagewoche bei Volkswagen die Ehen in Wolfsburg kriseln? Mit dieser Frage haben zwei Lüneburger Studenten die Öffentlichkeit aufgeschreckt. In einer Hausarbeit waren sie dem Umstand nachgegangen, daß die Zahl der Ehescheidungen in der VW-Stadt Wolfsburg in den beiden Jahren nach der Arbeitszeitverkürzung bei Volkswagen, also 1995 und 1996, um 48 Prozent höher gelegen hatte als im Schnitt der fünf Vorjahre. Dabei hatten die beiden angehenden Sozialwissenschaftler ihr Fazit ausgesprochen vorsichtig formuliert: Das Zahlenmaterial lasse einen Zusammenhang zwischen der kürzeren Arbeitszeit und den Eheproblemen vermuten, schrieben sie. Trotzdem sprangen die Medien an. Das Wirtschaftsmagazin Capital griff die Nachricht auf, und die Agenturen verbreiteten sie in Windeseile.

Dabei war das Thema keineswegs neu. Ende des Jahres will ein Team von Sozialwissenschaftlern der Universität Hannover die Ergebnisse einer ähnlichen Untersuchung zu den Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung bei VW auf das Familienleben sogar als Buch auf den Markt bringen. Geplanter Titel: „Zwischen Volks- und Kinderwagen“.

Diese fünf Forscher, die in den VW-Werken Emden, Hannover und Salzgitter recherchiert haben, kommen allerdings zu einem anderen Schluß als die beiden Studenten. „Generell gilt, daß die Viertagewoche, wenn sie tatsächlich über mehrere Monate verläßliches Arbeitszeitmodell war, in allen Familien zu einer Entspannung des familiären Binnenklimas führte“, faßt der Soziologe Karsten Reinecke zusammen.

In den Interviews mit den Forschern beschrieben sich die VW- Arbeiter als ausgeglichener. Die Frauen bestätigten diesen Effekt, obwohl das Mehr an arbeitsfreier Zeit keineswegs in allen Fällen dazu geführt habe, daß die Männer zu Hause öfter zupackten. Aus Sicht der bei VW beschäftigten Frauen verlief das Familienleben in jedem Fall streßfreier. Das durch die Viertagewoche um einen Tag verlängerte Wochenende habe die Koordination von Schichtarbeit, Haushalt und Familie erleichtert.

Den bewußten Wolfsburger Scheidungszahlen widersprechen diese positiven Befunde übrigens nicht: Die Arbeitszeitverkürzung im Wolfsburger Stammwerk trat im April 1994 in Kraft. Da es von Eheproblemen über Trennungszeiten bis zu Gerichtsterminen erfahrungsgemäß in der Regel zwei Jahre dauert, war das Gros der Ehen, die 1995 und 1996 geschieden wurden, zu diesem Zeitpunkt vermutlich längst gescheitert.

Allerdings durften sich die VW- Beschäftigten trotzdem nicht lange über die positiven Auswirkungen der Viertagewoche freuen: Als das hannoversche Forschungsteam Ende 1996 seine Befragungen durchführte, arbeiteten alle interviewten Männer in Salzgitter, Hannover und Emden schon wieder 37,5 Stunden. Heute liegt die Arbeitszeit der in der Produktion Beschäftigten in allen inländischen VW-Werken wieder bei 35 bis 36 Wochenstunden. Das bestätigte Hans-Jürgen Uhl vom VW-Gesamtbetriebsrat gegenüber der taz. Und in der vergangenen Woche nahmen 15.000 weitere Beschäftigte des Fahrzeugbaus und der Komponentenfertigung im Wolfsburger VW-Stammwerk auch offiziell erst einmal Abschied von der Viertagewoche. Tatsächlich hatten sie aber schon eine ganze Weile über die 28,8 Stunden hinaus gearbeitet – die tarifliche Vereinbarung hatte bereits flexible Mehrarbeit bis zu 38,8 Stunden zugelassen, die sich bei der wachsenden Nachfrage nach Autos längst zum Standard entwickelt hatte.

Sie ist nun von einem neuen verbindlichen Schichtsystem abgelöst worden, bei dem an fünf Wochentagen regelmäßig siebeneinhalb Stunden gearbeitet wird – abzüglich Pausen ergibt das eine 36-Stunden-Woche. Begründung: Die Produktionsarbeiter sollen für die Zeit der Automobilkonjunktur „mehr Sicherheit bei der Planung von Arbeitszeit und Freizeit erhalten“. Jürgen Voges