Kosovo-Flüchtlinge möglichst fernhalten

Aus Angst vor einer Sogwirkung verweigert Bonn den Flüchtlingsstatus. Ihnen bleibt lediglich das Asylverfahren  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Fast 200.000 Menschen sind im Kosovo auf der Flucht, doch für die westeuropäischen Staaten findet ihr Elend bislang nur im Fernsehen statt. Die Massenflucht, vor der Politiker und Medien warnen, ist bislang ausgeblieben.

In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland deutlich gestiegen, 2.804 Asylgesuche aus der Bundesrepublik Jugoslawien verzeichnete das Bundesamt im Juni, davon stammten rund 80 Prozent aus Kosovo. Das sind fast 1.000 Asylgesuche mehr als im Januar, angesichts der Massenflucht eine vernachlässigenswerte Größe.

Dabei wäre Deutschland innerhalb der EU bevorzugtes Zufluchtsland, denn hier leben bereits 400.000 Menschen aus dem Kosovo. „Die Gefahr“ einer Massenflucht nach Deutschland „ist konkret, aber steht nicht unmittelbar bevor“, heißt es dazu aus dem Auswärtigen Amt. „Die Flüchtlingszahlen in Deutschland haben sich nicht dramatisch erhöht“, konstatiert auch Stefan Telöken, Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats in Bonn, „doch je länger ein Konflikt andauert, desto stärker werden erfahrungsgemäß die Fluchtbewegungen.“

In Deutschland hätten die in Not Geratenen kaum eine Chance auf gesicherte Aufnahme. Angesichts der langwierigen Flüchtlingsrückkehr nach Bosnien scheut Bonn vor einer Bleiberechtsregelung zurück. Im nachhinein wird ihre Aufnahme als kostspieliger Fehler verbucht, den man nicht noch einmal machen will. Frühestens im November will sich die Innenministerkonferenz mit dem Thema befassen. Daß ein Bleiberecht für Kosovo-Flüchtlinge beschlossen wird, ist unwahrscheinlich.

So bleibt nur das Asylverfahren – die sicherste Methode, sich die Flüchtlinge schnellstmöglich vom Hals zu schaffen – und die unsicherste für die Betroffenen selbst. Noch im Juni, als im Kosovo längst Tausende Zivilisten vor serbischen Soldaten und Polizisten flohen, sahen die Entscheider des Asylbundesamtes keine politische Verfolgung gegeben. Von den 2.807 Asylanträgen aus der Bundesrepublik Jugoslawien wurden nur 46 bewilligt, eine Anerkennungsquote von nicht einmal zwei Prozent, die weit unter dem Durchschnitt der übrigen Herkunftsländer liegt. Nur in 15 von fast 3.000 Fällen gewährte das Asylbundesamt Schutz vor einer Abschiebung in den Kosovo. Zu diesem Zeitpunkt hatten etliche Verwaltungsgerichte diese Entscheidungspraxis längst bemängelt. „Angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Lage im Kosovo“, hatte etwa das Verwaltungsgericht Stade im März geurteilt, müsse überprüft werden, ob Kosovo-Albaner nicht einer staatlichen Gruppenverfolgung unterliegen.

„Was im Kosovo gegenüber der Zivilbevölkerung geschieht, ist unstrittig staatliche politische Verfolgung“, sagt Wolfgang Grenz, Asylreferent von amnesty international. Doch auch die dramatischen Fernsehbilder konnten bisher weder die Asylentscheider noch die Politiker zum Umdenken bewegen. Nach wie vor bekommen Kosovo-Flüchtlinge Abschiebungsandrohungen zugeschickt. Faktisch werden die Abschiebungen zwar nur in wenigen Ausnahmefällen vollzogen, doch die Innenpolitiker scheuen die formelle Verhängung eines Abschiebestopps.

Auch auf europäischer Ebene gibt es keine Aufnahmekonzepte, sondern nur die eine Strategie: humanitäre Unterstützung in der Region selbst, um die Flüchtenden so lange wie möglich fern zu halten. Spätestens wenn die Flüchtlinge dennoch näher rücken, ist Schluß mit der europäischen Einigkeit. Dann stehen, wie bei allen Flüchtlingskatastrophen der vergangenen Jahre, die Hauptzufluchtsländer mit den praktischen und finanziellen Folgen wieder alleine da. Bayerns Innenminister Günther Beckstein fordert deshalb jetzt eine Sonderkonferenz der EU-Innenminister. Bisher sind jedoch sämtliche Vorstöße Deutschlands für einen innereuropäischen Lastenausgleich gescheitert. Kommentar Seite 10