■ Gespräch mit den beiden Vorstandsfrauen über die Reformfreude der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung
: Die Macht der Erotik, die Erotik der Macht

taz: Die Heinrich-Böll-Stiftung ist bundesweit die erste Institution, die sich per Statut auf „Geschlechterdemokratie“ verpflichtet hat. Ein Erfolgsmodell?

Petra Streit: Wir sind hier Vorreiterin, und deswegen interessieren sich jetzt schon diverse Institutionen für unsere Erfahrungen.

Claudia Neusüß: Das reicht von ganz normalen Unternehmen, die gemerkt haben, daß sie mit der konventionellen Frauenförderung nicht weiterkommen, bis hin zu WissenschaftlerInnen, die demokratietheoretisch arbeiten. Geschlechterdemokratie enthält eine Vision über ein herrschaftsfreies Verhältnis zwischen Männern, Frauen und sexuellen Minderheiten. Gleichzeitig macht der Begriff auf die real undemokratischen Verhältnisse aufmerksam: unter anderem auf die mangelnde Partizipation von Frauen in der Politik und deren männliche Prägung.

Was treibt eigentlich ein Referent für Geschlechterdemokratie?

Neusüß: Er gibt gemeinsam mit seiner Kollegin Impulse, die Organisation unter geschlechterdemokratischen Aspekten zu entwickeln. Er organisiert Dialoge zwischen Männern und Frauen und bezieht dazu Ergebnisse der kritischen Männerforschung ein oder organisiert Veranstaltungen zum Thema Arbeitsumverteilung wie „Papa kommt heute später“. Und er versucht konsequent um sechzehn Uhr zu gehen, um für seine vier Kinder zu kochen. Als Arbeitgeberinnen finden wir es klasse, wenn unsere Männer in Teilzeitarbeit oder Erziehungsurlaub gehen.

Streit: Bei uns herrscht ein Klima, in dem Papis nicht belächelt, sondern honoriert werden. Die Personalabteilung fordert Männer explizit zu Erziehungsurlaub und Teilzeitarbeit auf.

Wann wird denn das Feministische Institut gegründet, das als zweites Standbein der Geschlechterdemokratie fungieren soll?

Neusüß: Es gab in der Vergangenheit Vorstellungen, daß dieses Institut zu einer großen Forschungsanstalt anwachsen könnte, größer als die heutige Inlandsabteilung der Bundesstiftung. Aber da sind die Möglichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung überschätzt worden. Deswegen sollte jedoch jetzt nicht alles, was kleiner ist, als frauenpolitisches Scheitern interpretiert werden. Wir brauchen das Institut als Erkenntnisort. Auch die Instrumente der Geschlechterdemokratie sollen dort kritisch untersucht werden.

Streit: Bisher dringt sehr wenig von der universitären Frauenforschung in die Politik. Das Institut soll Transferprozesse und auch konkrete Politikberatung organisieren.

Neusüß: Im Herbst wird es in Berlin den Kongreß „Dreißig Jahre neue Frauenbewegung – wie weit flog die Tomate?“ geben. Dort soll auch unser Konzept für die erste Phase der Institutsgründung bis Ende 1999 vorgestellt werden: Es sieht vor, mit einem kleinen Kreis fester Mitarbeiterinnen öffentlichkeitswirksame Projekte auf die Beine zu stellen. Darüber hinaus sollen befristet Expertinnen unter dem Motto „Die Besten für das feministische Institut“ gewonnen werden. Ein weiteres Projekt ist das Virtuelle Institut. Es soll besonders den internationalen Charakter des Instituts unterstreichen, ohne daß ständig riesige internationale Kongresse organisiert werden müssen.

Die Erotik der Macht und die Macht der Erotik – spielt das theoretisch und praktisch eine Rolle in der Stiftung?

Streit: Na ja. Wir brauchen noch ganz viele charmante Männer. Die erotische Ausstrahlung der Männer im grünen Umfeld läßt doch etwas zu wünschen übrig.

Neusüß: Jürgen Trittin soll aber lange Beine haben.

Streit: Hab' ich noch nicht so drauf geachtet. Und der Begriff von Macht ist in meinem weiblichen Umfeld kein bißchen erotisch, sondern eher negativ besetzt.

Neusüß: Dabei sind machtvolle Frauen so erotisch.

Streit: Im Reformprozeß der Stiftung haben die Frauen nicht nach der Macht geschrien. Sie hätten ja ohne weiteres sagen können: Wir sind hier zu siebzig Prozent Frauen, wir haben eine Mehrheit im Vorstand, wir reißen uns jetzt alles unter den Nagel.

Was passiert, wenn die Bündnisgrünen Ende September bei den Bundestagswahlen rausfliegen?

Neusüß: Wir müßten dann mit einem langsamen Abbau der öffentlichen Mittel rechnen, vielleicht noch nicht 1999, aber danach. Dabei setzen wir nicht nur auf die sieben Prozent Frauen, die laut aktuellen Umfragen die Grünen wählen, sondern auch die fünf Prozent Männer. Das bedeutet, daß die Grünen sehr sorgfältig mit ihrem weiblichen Wählerpotential umgehen und noch mehr Männer gewinnen müssen.

Interview: Ute Scheub