Wann kommt der Bioboom?

Wer heute in den Bioladen geht, trifft statt auf Müsliflair auf gediegenes Feinkostambiente: Vorbei sind die Zeiten von Kraut, Rüben und karger Körnerkost. Die Kundschaft bestimmt das Sortiment. Doch trotz steigenden Umsatzes läßt der Bioboom auf sich warten  ■ von Danièle Weber

Der deutsche Ökomarkt ist nicht nur der älteste, sondern immer noch der größte Europas. Auf rund drei Milliarden Mark wird sein Umsatz geschätzt. Und im ökonomischen Sinne kann er durchaus als gesund bezeichnet werden. Im Gegensatz zur schwierigen Lage des konventionellen Einzelfachhandels sind die Marktdaten für die Naturkostbranche positiv: Für das Jahr 1997 geben die Bundesverbände Naturkost Naturwaren (BNN) neun Prozent Umsatzzuwächse an. Das sind immerhin vier Prozent mehr als im Jahr zuvor.

„Dem Markt könnte es jedoch noch besser gehen“, meint Ilka Stitz, Verbandssprecherin der BNN. Immerhin wollen laut einer Studie der Centrale Marketing Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) zwei Drittel der befragten KonsumentInnen in Zukunft mehr Biokost als bisher zu sich nehmen. Derzeit nimmt Bionahrung bescheidene 1,5 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes ein. Experten schätzen jedoch, daß sich dieser Anteil bis zum Jahr 2005 auf zehn Prozent steigern könnte.

Bisher sind ÖkokonsumentInnen eher treu, sie kaufen immer noch am liebsten im Bioladen ein: Die rund 1.700 Läden setzen mit 1,2 Millionen Mark über ein Drittel der Bioware um. Danach folgen Supermärkte mit 25 und der Ab-Biohof-Verkauf mit zwanzig Prozent. „Wir gehen davon aus, daß alle bestehenden Marktsegmente gleichmäßig weiter wachsen werden“, sagt die Geschäftsführerin der „Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau“ (AGÖL), Manon Haccius.

Andere sehen die Wachstumspotentiale vorwiegend im Ökosupermarkt. Das Wuppertaler Clearing-House for Applied Futures betreut drei Pilotökokaufhäuser in Köln, Krefeld und Soest. „Bestehende Ökounternehmen sollten sich zusammenschließen, um so konkurrenzfähiger zu werden“, sagt Ute Zander von Clearing- House. Denn wenn die Ökos nicht reagieren, würden „artfremde“ Investoren das Rennen machen.

Daß die gesamte Ökokundschaft längst nicht mehr „artgerecht“ ist, brachte letztes Jahr eine Umfrage der Zeitschrift Schrot und Korn in Zusammenarbeit mit dem Sinus-Institut zu Tage: Nur 27 Prozent der KundInnen von Naturkostläden sind dem alternativen Milieu zuzurechnen. Der weitaus größte Teil der KäuferInnen (44 Prozent) kommt aus der sogenannten technokratisch-liberalen Mittelschicht. Immerhin vierzehn Prozent sind Hedonisten, also Genießer, die vor allem auf guten Geschmack achten. Sechs Prozent der Biokundschaft stammen gar aus dem konservativ-gehobenen Milieu. Nicht lila Latzhosen, sondern Jungmanager bevölkern heute den Bioladen. „Früher kauften die Ökos Bioprodukte, um die Welt zu retten“, sagt Ilka Stitz, „die Kunden von heute wollen vor allem sich selbst etwas Gutes tun.“

Den Herstellern wird zudem der Ökoladen zu eng. „Die bisherigen Handelswege reichen nicht aus, um unsere Ware abzusetzen“, sagt Manfred Kränzler, Geschäftsführer der Bioland-Handelsgesellschaft in Baden-Württemberg. Als erster Ökoverband ist Bioland in Baden-Württemberg eine direkte Partnerschaft mit einer Supermarktkette eingegangen. Anders als bei Supermarktbiomarken wie „Füllhorn“ von Rewe oder „Naturkind“ in den Tengelmann-Märkten ist hier die Erzeugergemeinschaft für die gesamte Produktpalette verantwortlich.

Erste Bilanz nach fünf Monaten: Der angestrebte Umsatz wurde bereits überschritten, freut sich Manfred Kränzler. Zudem habe das Projekt den anderen Vermarktern der Region bisher nicht geschadet. Der Verband war zunächst skeptisch. Noch bis vor zehn Jahren wurde über den Einzug der Bioprodukte in größere Konsumtempel in der Branche heftig debattiert. „Innerhalb der Erzeugerverbände“, sagt Manon Haccius von AGÖL, „sind diese ideologisch gefärbten Diskussionen weitgehend ausgestanden.“ Ökovermarktung im Supermarkt wird nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. „Letztlich werden mit neuen Vertriebswegen mehr Kunden erreicht“, ist auch Eckart Reinert überzeugt. Reinert ist Leiter des Ressorts Landbau beim Bioland-Bundesverband, der inzwischen 3.300 Mitglieder in Deutschland hat. Die Vertriebsgesellschaft „Alnatura“ etwa bietet in ihren acht „Super-Natur-Märkten“ ein 6.800 Artikel starkes Ökowarensortiment an – zu siebzig Prozent konventionellen Kunden.

Gerade für NeueinsteigerInnen ist der Ökomarkt schwer zu überblicken: Es herrscht ein Wirrwarr an Labels. In anderen europäischen Ländern machen es staatliche Prüfsiegel den VerbraucherInnen einfacher. Seit geraumer Zeit wird deshalb auch in Deutschland über ein bundeseinheitliches Ökosiegel diskutiert – bislang ohne Erfolg.

Tatsächlich läßt der Bioboom in Deutschland auf sich warten. Zwar kamen in den letzten Jahren jeweils rund 500 Biobetriebe hinzu, insgesamt werden jedoch nur rund zwei Prozent der deutschen Wiesen und Felder biologisch bewirtschaftet. Im Gegensatz zum Ausland: Als Boomländer gelten die Schweiz, Dänemark, Schweden und Finnland oder Österreich, wo der Ökoanteil der landwirtschaftlichen Fläche inzwischen bei zehn Prozent liegt.

„In der deutschen Politik wird der ökologische Landbau weiterhin als Nische angesehen“, sagt Bernward Geier, Geschäftsführer der „International Federation of Organic Agriculture Movements“ (IFOAM), der 700 Mitgliedsverbände aus 102 Ländern angehören. Ob die Agenda 2000, die die künftige Agrarpolitik der EU regeln soll, etwas an dieser Richtung ändern wird, darüber wird zur Zeit auch in Ökokreisen viel diskutiert. Vorgesehen sind unter anderem statt der bisher preisgebundenen Subventionen mehr direkte Ausgleichszahlungen an Landwirte – gekoppelt zum Teil an ökologische und soziale Kriterien. Die Details werden zur Zeit in Brüssel verhandelt. In Deutschland müsse der Staat beim Aufbau der entsprechenden Marktstrukturen endlich mit gezielten Förderungen eingreifen, fordert die Ökobranche.

Davon würden allerdings auch andere profitieren. Bereits jetzt werden mindestens fünfzig Prozent des in Deutschland verkauften Biogemüses oder –obsts importiert. Ein Verhältnis, das sich von dem des konventionellen Handels kaum unterscheidet. Vor allem seit der ökologische Warenverkehr innerhalb Europas durch eine gemeinsame Direktive geregelt ist, werden zunehmend Produkte aus südeuropäischen Ländern importiert.

Der Osterweiterung der EU sehen Ökobauern deshalb mit gemischten Gefühlen entgegen. Auch deswegen starten Verbände zur Zeit in Zusammenarbeit mit Naturschutzorganisationen Aktionen, mit denen die Regionalität der Produkte angepriesen wird. Längst geht nämlich auch der Ökohandel globalisierte Wege: Bedeutendster Handelspartner der EU im Biohandel ist mittlerweile Lateinamerika. Auf der alljährlichen internationalen „Biofachmesse“ in Frankfurt war in diesem Jahr Südamerika immerhin mit 110 AusstellerInnen vertreten.

Eine rasante Entwicklung gab es auch in anderen Ländern außerhalb Europas: Auf rund fünf Billionen Mark wird der Markt mit „organics“ in den USA geschätzt. Beobachter rechnen damit, daß der Ökomarkt weltweit sich in den nächsten zehn Jahren verzehnfachen wird – Hauptwachstumsländer USA und Japan.

Längst kommen über die globalen Handelswege nicht nur exotische Ökoprodukte. Biogetreide aus Argentinien, Bioäpfel aus Südafrika, Ökogemüse aus Brasilien gehen inzwischen vor allem im Winter auch über hiesige Ökotheken. Ob die weiten Transportwege ökologisch korrekt sind, wird nur in Fundikreisen diskutiert. „Wir sollten die ökologischen Prinzipien nicht auf dem Altar der Expansion opfern“, warnt Bernward Geier. Er fügt jedoch hinzu, möglicherweise müsse die Biobewegung auf dem Weg zum Mainstream „ein paar Federn lassen“.