„Unbelehrbar misanthropisch“

■ Elfriede Jelineks „Er nicht als er (zu, mit Robert Walser)“ wurde bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Ein Gespräch mit der Schriftstellerin und diesjährigen Büchner-Preisträgerin über Robert Walser, ihre sozialistischen Neigungen und das Leben der Wasserschweine

taz: „Man ist immer dumm, wenn man heiß ist“, heißt es bei Robert Walser. Frau Jelinek, wollen Sie nicht etwas gegen das Wetter sagen?

Elfriede Jelinek: Ich hasse Hitze. Aber ich hasse Kälte auch. Ich will alles immer schön freundlich temperiert haben.

Wenn es so heiß ist, sind auch die Tiere im Zoo völlig fertig.

Das stimmt. Ich bin ja eine leidenschaftliche Zoobesucherin. Wenn ich in München bin, bin ich jeden Sonntag dort.

Und Sie sind mit dem Tapir sehr gut, obwohl Tapire ja an sich sehr scheu sind.

Kein Wunder, wenn die so lange überlebt haben, dann müssen sie scheu sein, das sind ja noch urweltliche Tiere. Was ich auch sehr liebe, ist das Wasserschwein. Von denen gibt es in München eine nette kleine Herde. Die haben diese kleinen Augen und die Ohren klappen sie zu, wenn sie unter Wasser gehen. Humboldt hat unglaublich gestaunt, wie er sie gesehen hat: Die haben richtige Schwimmhäute und sehen aus wie sehr große, schwimmende Meerschweinchen. Und wenn die Gouchos sie vom Pferd aus erschlagen, geraten sie in eine Duldungsstarre und bleiben vollkommen ruhig stehen. Sie lassen sich einfach erschlagen. Das sind meine Lieblingstiere. In Wien gibt es aber, glaube ich, überhaupt keine.

Mögen Sie eigentlich Theater?

Ich habe es immer gehaßt. Es ist eine vollkommen paradoxe Situation, daß ich plötzlich eine Dramatikerin bin.

Sie tun ja auch alles, um das zu hintertreiben.

Ja, aber noch ungeschickter als Thomas Bernhard.

Sie werfen den Regisseuren nur mehr Textbrocken wie ein Stück rohes Fleisch hin. In „Er nicht als er“ gibt es nicht einmal mehr Rollen.

Ich schreibe auch keine mehr, weil es eh keinen Sinn hat. Und ich habe das interessanteste Ergebnis mit dem „Sportstück“ und Einar Schleef erzielt, dem ich überhaupt nichts vorgeschrieben habe. Das Theater ist eben nur zur Hälfte die Arbeit eines Autors – wenn überhaupt.

Sie gehen genau den entgegengesetzten Weg wie Marlene Streeruwitz, die auf Prosa umgestiegen ist, weil sie ihre Stücke nicht von einem selbstherrlichen Regietheater durch den Fleischwolf drehen lassen will.

Obwohl wir sehr gut befreundet sind, vertreten wir in diesem Punkt halt verschiedene Richtungen. Die Marlene sollte selber inszenieren. Ich glaube, die kann das auch.

In einem Interview mit „Theater heute“ hat Ivan Nagel angedeutet, daß für den Umstand, daß Sie seinerzeit zunächst einmal abgesagt haben, auch die Plakat- Kampagne der FPÖ mitverantwortlich war, die damals gerade im Gang war.

Die können mich nicht beleidigen, die würden mich beleidigen, wenn sie mich gut fänden – darum geht's nicht. Worüber ich aber bis heute nicht hinweggekommen bin, ist, daß es nicht einmal einen kleinen Routineprotest der Schriftstellerorganisationen gegeben hat.

Es haben aber auch schon Leute, die Sie und Ihr Werk schätzen, Kritik an Ihnen geübt und gemeint, man sollte nicht dauernd davon reden, ins Exil zu gehen...

Aber, bitte schön, ich habe das selbst ironisiert. Nur ist das halt nicht kolportiert worden. Wie Peymann gesagt hat, man muß emigrieren, habe ich gesagt: Ja, nach St. Pölten.

Der selbstironische Kommentar ist tatsächlich untergegangen. Und es gibt auch einen Diskurs, der die Katastrophe immer herbeiredet: Man denke nur an Gerhard Roths Nazi-Gen. Das ist einfach dumm und macht es unmöglich, noch analytisch zu argumentieren.

Das ist richtig: Mit solchen Totschlag-Argumenten kann man nicht operieren. Die sind mir aber zugeschrieben worden. Selbst jetzt noch wird mir nachgesagt, ich hätte gesagt, daß sich die Hälfte der Österreicher über die Ermordung der Roma gefreut hätte. Ich habe das niemals gesagt!

War Ihr Walser-Stück eigentlich von Anfang an Teil des Salzburg-Projekts?

Das Stück war überhaupt nicht geplant. Geplant war nur, daß ich Programm mache. Und ich habe mir gedacht: Wenn ich bei einem Festival bin, wo jeder im Publikum sich wichtiger fühlt als das, was auf der Bühne passiert, werde ich sie zwingen, einmal Texten zuzuhören. Und Ivan Nagel hat gemeint: Können Sie das Programm nicht anhand von Walser erläutern? Nun kann man aber über Walser nichts sagen, weil er sich selbst sagt. Also muß man ihn selbst sprechen lassen. Und da ich mich immer schon mit der Technik der Montage beschäftigt habe und das am Theater besonders gut geht, habe ich ein ganz kleines Dramolett geplant, aus dem dann ein nicht sehr langes Stück geworden ist. Es ist eigentlich nur eine Hommage an einen der wichtigsten, wenn nicht den wichtigsten deutschsprachigen Dichter dieses Jahrhunderts; und der einen auch rühren kann wie kaum ein anderer.

„Die Schriftstellerei stammt ja aus dem Menschlichen“, heißt es bei Walser. Das ist kein Satz, den man Ihnen zuschreiben würde?

Warum glauben Sie das? Weil ich das Menschliche meide, wo ich kann, es ausrotte, wo ich es finde, ja, ja. Aber Walser macht das auch. Diese Beschwörungsformeln über die liebliche Wiese und das wunderbare Tal, aus dem die Morgennebel aufsteigen, sind ja alles nur Rituale, mit denen man sich versichert, daß es einen überhaupt noch gibt. Man hat schon das Gefühl, ins Bodenlose wegzubrechen, obwohl ich Walser nicht für einen Geisteskranken halte. Er war halt ein Sonderling.

Aber offenbar auch nicht dieser putzige Dachkammerpoet. Eine gewisse Lebenstüchtigkeit dürfte er schon besessen haben.

Jemand, der zu leben versteht, hätte nicht 30 Jahre lang im Irrenhaus Stanniolpapier gefalzt, Tüten geklebt und Erbsen sortiert. Heute wäre er vielleicht ein stadtbekanntes Original, der bei den „Seitenblicken“ auftaucht, wenn er sich nicht rechtzeitig wehren kann.

Weiß man eigentlich etwas über seinen Umgang mit den anderen Insassen?

Er war ein Einzelgänger, hat kaum mit jemandem gesprochen. Der Aufenthalt in der Waldau war ja durchaus noch ein freiwilliger, aber Herisau war eine Zwangseinweisung, da brauchen wir nix beschönigen. Es ist ja ganz erstaunlich, wieviele Schweizer Dichter im Irrenhaus gelandet sind. Die sperren ja offenbar alles ein, was auch nur einmal verkehrt gegen die Einbahn rennt. Aber dafür, daß die Schweiz einen Walser hervorgebracht hat, müßte man halt jedes Mal den Boden Schweiz küssen.

„Ohne Spazieren wäre ich tot, und meinen Beruf, den ich leidenschaftlich liebe, hätte ich längst preisgeben müssen.“ Was sind denn Ihre Techniken, bei denen Sie sich entspannen?

Mein Hund. Tiere. Das ist das einzige, was einen versöhnen kann. Es ist sogar nachgewiesen, daß Leute mit ihren Haustieren am entspanntesten sind. Am wenigsten entspannt sind sie mit dem Partner.

Und die Literatur?.

Ich bin eine leidenschaftliche Krimi-Leserin. Und da lese ich alles, was ich kriegen kann. Ich liebe Rätsel. Diese verrätselten Krimis, etwa von John Dickson Carr – das ist absolut genial. Was mich aber am allermeisten interessiert, sind reale Kriminalfälle. In der anglo- amerikanischen Literatur ist es sehr häufig, daß spektakuläre Kriminalfälle bis zur Gerichtsverhandlung minutiös rekonstruiert werden.

Was fasziniert Sie daran?

Wie es geschehen ist und die psychologische Konstellation. Dahmer und diese ganzen Unholde haben ihre Opfer gegessen, eingerext, in den Kühlschrank gesteckt – nur, um sie bei sich zu behalten. Man glaubt immer, daß die schizophren sind. Das stimmt aber nicht. Das sind Persönlichkeitsstörungen, die vollkommen unbehandelbar sind. Die können zum Beispiel keine Grenze zwischen sich und einem anderen Körper ziehen.

Womit wir wieder bei der Frage nach dem Subjekt wären...

Das Subjekt gibt es ja schon lange nicht mehr. Die zweite Natur hat die erste längst überlagert. Und wer meint, daß er jetzt – meistens in der Liebe – ganz mit sich eins ist, verhält sich gerade in diesen Momenten wie seine Lieblingsstars aus Fernsehen und Film. Im Grunde ist das entropische Universum, das Thomas Pynchon prophezeit hat, ja fast schon eingetroffen. Alles ist gleich – ob man nun virtuell handelt oder real, ob man als man selbst handelt oder sich von sich selbst suspendiert hat.

Es macht schon einen Unterschied, ob man sich damit jubelnd einverstanden erklärt und sich nur mehr als Extension der Medien- und Unterhaltungsindustrie begreift oder versucht, so etwas wie das Subjekt noch zu verteidigen.

Diesen alten Innerlichkeitskitsch würde ich mir auch nicht zurückwünschen.

Sie vertreten doch auch eine kritische Position, die sich eben nicht in Innerlichkeitskitsch manifestiert.

Aber auch nicht in der Illusion, daß das Subjekt handeln könnte. Diesen Subjektivismus habe ich immer unterlaufen, indem ich die Dinge exemplarisch gezeigt habe. Ich will nicht sagen, daß das das gute alte politische Engagement ist, aber der Wegfall der Blöcke hat natürlich dazu geführt, daß die Ziele außerhalb von einem selbst desavouiert wurden. Ich bin auch froh, daß diese kommunistischen Regime nicht mehr existieren, aber wenn ich mir die Sieger der Geschichte ansehe, die immer bei sich und nie bei Trost waren...

Und Ihre eigene politische Biographie?

Ist natürlich auch eine Geschichte des Scheiterns.

1989 gab es in der Linken ganz verschiedene Reaktionen, die von Euphorie bis zur Melancholie reichte.

Das würde ich sagen: Die Melancholie ist meine Methode.

Wobei man Melancholie durchaus auch im Freudschen Sinne als ausbleibende Trauerarbeit verstehen kann.

Ja, aber warum sollen immer die trauern, die mehr wollten, als einfach nur die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Die anderen mußten nie trauern. Das sehe ich nicht ein.

Sie waren ja auch Mitglied der KP.

Ich ware lange KP-Mitglied, was nicht heißt, daß ich den Stalinismus verteidige oder die Opfer des Stalinismus leugnen würde. Ich habe nur gedacht, daß es eine politische Praxis außerhalb dieser kleinen Studentenzirkel geben müßte, und habe mir gedacht: Gehst du halt in die Partei, die die geschichtsbildende Kraft der Arbeiterklasse noch am besten unterstützt.

Und das haben Sie geglaubt?

Ich habe es als eine Demutsgeste gesehen, habe aber natürlich gemerkt, daß ich innerhalb dieser Partei eine völlige Außenseiterin war und auch geblieben bin. Wir waren nützliche Idioten. Ich setze die Opfer des Kommunismus und des Faschismus auch gleich – das sind beides Katastrophen. Aber ich würde sagen, daß es der Ideologie des Faschismus immanent ist, nur Opfer zu produzieren, während das für den Kommunismus nicht gilt.

Das ist dann immer die Diskussion: ob die Kreuzzüge mit dem „eigentlichen“ Christentum etwas zu tun haben oder nicht.

Die waren aber vor 1.000 Jahren, während es im Falle des Kommunismus sehr junge Systeme waren – 50, 70 Jahre. Ich denke, daß es durchaus einen nächsten Versuch geben könnte, der besser funktioniert.

Was wären die Grundkonstituenten eines Sozialismus mit welchem Antlitz auch immer?

Es müßte natürlich auf demokratischer Basis stehen, und er müßte die Leute durch Vernunft überzeugen, dem aggressiven Kapitalismus etwas entgegenzusetzen, der nicht anders kann, als nur mehr Kapital zu akkumulieren. Er hat nicht die Wahl, auf Profit zu verzichten, um etwas für die Arbeitslosen zu tun.

In „Jelineks Wahl“ schreiben Sie: „Töten kann jeder, und der Staat ist dazu da, weil seine Teilnehmer das wissen, ihnen das zu untersagen und es nötigenfalls selber zu machen.“ Das klingt mehr nach Thomas Hobbes als nach Karl Marx.

Ich bin ja, wie Sie auch selbst festgestellt haben, eine absolut unbelehrbare Misanthropin.

Was sich mit Sozialismus nicht besonders gut verträgt.

Ja, aber den Sozialismus habe ich mir selbst aufgezwungen, das ist nicht etwas, woran ich so leicht glauben könnte. Aber weil ich so misanthropisch bin, daß ich den Leuten alles zutraue, glaube ich, daß man irgend etwas tun muß, um ihnen Zügel anzulegen.

Es ist doch die Frage, inwieweit überhaupt noch Politik gemacht, also den „freien“ Kräften des Marktes etwas entgegengesetzt wird.

Jedenfalls ist es selbst den liberalsten Anhängern der Marktwirtschaft klar, daß der Staat die Kultur zu fördern hat. Auf das können sich alle einigen. Da bin ich doch froh.

Das ist die vordringlichste Aufgabe?

Nein, bestimmt nicht. Das interessiert nur die paar Künstler.

Was bleibt von der sogenannten Solidarität?

Die hat 1968 vielleicht ein bißchen besser funktioniert als heute.

Es gab und gibt aber auch die fruchtlosen Rituale des Sich-Bekennens: „right or wrong – my party“.

Das gemeinschaftliche Einprügeln auf das sogenannte „Gutmenschentum“ ist auch unproduktiv. Da trifft sich die Rechte mit der Linken oder den Liberalen. Das finde ich genauso widerwärtig. Als ob es nichts Schrecklicheres zu bekämpfen gäbe als die „Gutmenschen“. Wenn ich das Wort schon höre, gehe ich an die Decke. Das hat viel kaputtgemacht und viele Leute davon abgehalten, sich zu äußern.

Es ist sicher respektabel, ein guter Mensch sein zu wollen. Irgendwann landet man dann beim Christentum, dessen Vorstellungen man aber vielleicht doch nicht teilen will.

Ich ganz bestimmt nicht, obwohl ich sehr christlich erzogen worden bin. Aber auch das ist vielleicht nicht das Allerschlimmste, was es gibt. Ich finde außerdem, daß jetzt langsam wieder neue politische Bewegungen beginnen. Was zum Beispiel Pierre Bourdieu in Frankreich mit der Arbeitslosenbewegung macht, ist schon ein neuer Anfang, und den nennt niemand einen „Gutmenschen“ – weil er es natürlich auch sehr analytisch und genau angeht. Oder auch, was Schlingensief betrifft, bei dem die Sache halt mehr ästhetisch durchgearbeitet ist und Richtung Spaßguerilla geht. Er hat doch immerhin in Hamburg einiges auf die Beine gestellt: Das Theater macht seine Suppenküchen mittlerweile ganz ohne ihn. Interview: Klaus Nüchtern