Arbeitsamt im Notebook

Mit „sozial mützlicher Arbeit“ will Italien Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zurückführen. In Neapel ist daraus ein gutes Geschäft für die Camorra geworden  ■ Aus Neapel Werner Raith

Sein Kapital ist nicht größer als ein Brillenetui, paßt somit in die Gesäßtasche und hat den großen Vorteil, daß es eine Monopolstellung begründet: Was Alemano im Mini-Notebook speichert, kann nur er wieder lesen; schaltet jemand anderer unbefugt sein Gerät ein, vernichtet sich die Datei von selbst. Den Geheimcode, der vorher eingegeben werden muß, kennt nur er.

Natürlich hat Alemano eine Sicherheitskopie hinterlegt, für den Fall, daß er selbst mal vergißt, den Code einzugeben, bevor er den „On“-Knopf herumlegt; aber auch diese Kopie ist so geheim, daß nicht einmal derjenige davon weiß, dem er sie zur Aufbewahrung gegeben hat. Er hat sie ihm einfach untergejubelt. Alemano weiß, warum er all das macht: die in seinem Computerchen gespeicherten Angaben wären, gerieten sie in falsche Hände, ein gefundes Fressen für die Polizei, aber auch für die Konkurrenz und vielleicht sogar für jene, deren Namen er gespeichert hat, und die auf keinen Fall wissen dürfen, wer da noch alles verzeichnet ist.

Alemano ist einer jener Männer, die in Neapel „Listen für sozial nützliche Arbeit“ führen: Vormerkungen von Langzeitarbeitslosen, denen der Staat und die Stadt Arbeit in der Stadtbegrünung, im Fremdenverkehrswesen, in Kindergärten und neuangelegten Parks versprochen hat. An die 7.000 Jobs wurden bisher vermittelt, über 30.000 sind alleine für Neapel noch vorgesehen. An sich, so die Durchführungsverordnung, müssen die Arbeitslosen exakt in jener Reihenfolge angenommen werden, in der sie in den staatlichen „registri di collocamento“ aufgeführt sind: wer länger arbeitslos ist, kommt eher dran, wer eine große Familie hat, früher als ein Alleinstehender und so weiter.

Doch wie der Polizeichef von Neapel mittlerweile erkannt hat, ist nicht einmal ein Zehntel der sozial nützlichen Arbeitsplätze nach diesem Muster vergeben worden: „Wie sollen die auch wissen“, sagt Alemano, „wer wirklich bedürftig ist.“ Ähnlich denken wohl auch die meisten Neapolitaner, und so gehen sie gar nicht erst zum staatlichen Listenführer, sondern gleich zu den illegalen Aufschreibern wie eben Alemano.

Und der hat präzise Vorstellungen, wie man die Liste erstellen muß: wer mehr schmiert, rückt in der Reihenfolge vor. Bis zu umgerechnet tausend Mark und mehr zahlen die Menschen dafür, einen „sicheren“ Listenplatz zu erhalten – und verpflichten sich gleichzeitig auch noch, einen Teil der dann vom Staat monatlich ausbezahlten Entlohnung wiederum an Alemano abzugeben, so zwischen zehn und fünfzig Prozent. Daß da für manchen armen Schlucker am Ende nur noch umgerechnet ein paar hundert Mark übrigbleiben, weiß Alemano, aber: „Was willst du machen, auch ich habe meine Ausgaben, muß zahlen, muß mich einrichten.“

In der Bar Garibaldi, wo er einen festen täglichen Anlaufpunkt hat, warten schon mindestens zwanzig Männer und Frauen, die ihn alle mit tiefen Respektsgesten begrüßen. Er setzt sich an den Tisch, die Leute kommen heran, flüstern ihm ihre Wünsche und Hoffnungen ins Ohr, warten, ob er sein Notebook zieht. Der Griff in seine Brusttasche bedeutet für die meisten die Erfüllung ihrer Hoffnungen, manche beginnen, vor Glück zu weinen. Alemanos notiert sich die Einzelheiten, nimmt die hingehaltenen Geldscheine durchweg, ohne sie nachzuzählen. Nur Hunderttausender legt er einen Moment unter eine vom Barbesitzer ausgeliehene Ultraviolettlampe. „Ich will ja nicht wegen so einer Dämlichkeit in den Knast“, sagt er; vorige woche wurde ein Kollege wegen Falschgeldbesitzes verhaftet. Während der ganzen Zeit schweift Alemanos Blick immer wieder herum – zur Tür, zum Klappvorhang vor der Toilette, zu den Fenstern: vor zwei Wochen hatte ihm eine konkurrierende Bande eine Botschaft geschickt, er möge sich gefälligst korrekter auf „sein“ Terrain beschränken – offenbar hatte er ein paar Leute ins Notebook aufgenommen, die aus einem anderen Viertel kamen.

„Das darf mir eigentlich nicht passieren, aber die Leute sind ja so unehrlich“, sagt er und schüttelt den Kopf. Und das kann kosten. Seit Jahresbeginn wurden in Neapel fast hundert Menschen ermordet, ein Zeichen, daß die Camorra- Gangs wieder mal dabei sind, die Märkte neu auszuschießen. Heute jedenfalls ist alles ruhig. Gut ein Dutzend Frauen und Männer werden am Ende in den Computer aufgenommen, Alemano verstaut das Geld in der inneren Brusttasche seiner Jacke, sichert nach links und rechts und fährt zum nächsten Treffpunkt.

Weit muß er nicht kutschieren – sein „Sprengel“ reicht nur drei Gassen weit: wie er sind in Neapel Hunderte von „Listenführern“ unterwegs, allesamt „autorisiert“ und gleichzeitig genauestens auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt von der örtlich vorherrschenden Camorra-Gang, „den „Leuten, die hier zählen“, wie Alemano diese Banden umschreibt. Ihnen muß er einen Teil der Schmierbeträge abgeben, die er für die Aufnahme in die Liste kassiert. Wieviel, sagt er nicht, beim Raten schüttelt er bei „20 Prozent?“, „30 Prozent?“ den Kopf, bei „die Hälfte?“ hebt er die Schultern: ja, so ist die Welt eben. Von den Quoten nach erfolgreicher Arbeitsvermittlung, das immerhin sagt er im Klartext, muß er drei Viertel abgeben. Trotzdem lebt er nicht schlecht.

Getrübt wird die Perspektive allerdings weniger durch immer häufiger einfilternde externe Gangs und intensivere polizeiliche Kontrollen – Angst macht Alemano vor allem, daß „diese Scheißer in Brüssel“ sich die Sache mit der „sozial nützlichen Arbeit“ vorgenommen haben. Was laut italienischer Regierung ein „Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt“ sein soll, halten die Eurokraten phantasielos eher für eine verdeckte und damit verbotene Subvention, da hier der Staat direkt Geld ausschüttet und nicht, wie bei anderen Arbeitsbeschaffungsaßnahmen, nur steuerliche Anreize schafft. Wird die Regierung gezwungen, die Programme der „sozial nützlichen Arbeit“ abzuschaffen, wäre das „eine Katastrophe“ für Leute wie Alemano.

Tausende von Anwärtern auf staatliche Subventionsposten haben er und andere Listenführer daher Mitte Juli zu großen Demonstrationen durch die Stadt geschickt. Sie besetzten sogar zeitweise den Dom, worauf in aller Welt Reportagen erschienen. Die Regierung empörte sich darob offiziell sehr, aber „im Grunde waren die ganz glücklich darüber, weil sie so in Brüssel sagen können, daß es schwere Unruhen geben wird, wenn die sich querlegen“. Meint jedenfalls Alemano.

Auf dem Weg zu dritten Treff der Arbeitslosen schaut Alemano bei der Polizei vorbei. Hier muß er sich täglich ins Register eintragen, denn er ist nur auf Bewährung draußen – eigentlich hätte er noch knappe zwei Jahre wegen Schutzgelderpressung abzusitzen. Aber ein neues Gesetz hat alle, deren Reststrafe unter drei Jahren liegt, aus den Knästen „befreit“.

An sich sollen auch sie „sozial nützliche Arbeit“ verrichten oder im Hausarrest verbleiben, aber Alemano hat es halt geschafft, auch ohne genauere Angabe seiner Tätigkeit als „sozial nützlicher Arbeiter“ anerkannt zu werden. „In gewisser Weise bin ich das ja auch“, sagt er ohne alle Ironie. Der Polizist klappt das Präsenzregister zu und lacht: „Jaja, der Alemano, einer der immer auf die Füße fällt.“ Dann droht er mit dem Zeigefinger: „Aber sei dir nicht zu sicher.“ Er reibt den Zeigefinger am Nasenflügel, „scheint, als ob der Wind drehen würde“. Alemano ist höchst nachdenklich, als er wieder ins Auto steigt. „Das hat der nicht einfach so dahin gesagt.“

Vorsichtshalber fährt er sofort nach Hause, seine Sicherheitskopie zu ziehen und gleichzeitig die neuesten Daten weiterzuschicken. Nicht zu erkennen, wie er es genau macht – jedenfalls kann man sicher sein, daß die von ihm angenommenen Arbeitslosen nun im staatlichenm Zentralregister stehen, die meisten von ihnen mit gefälschten, aber von den offiziellen Bürokraten nicht als solche erkennbaren Daten.

Manch einer wird zum Langzeitarbeitslosen, obwohl er nie aufgehört hat, im Salär irgendeiner Firma zu stehen, mancher wird plötzlich zum Vorstand einer vielköpfigen Familie, obwohl er lediglich ein Kind hat, manche Frau wird zur Witwe, obwohl ihr Mann quicklebendig als Fischverkäufer am Hafen schafft.

Trotz seiner offenkundigen Mühelosigkeit, seine Protegés auf die offiziellen Listen zu bekommen – leicht hat er es doch nicht. „Das Problem“, sagt er, „liegt vor allem darin, daß die anderen Listenführer ja auch jeden Tag ihre Neuanmeldungen eingeben – und natürlich will jeder seine Leute besonders weit vorne plazieren, das stärkt seinen Ruf und dann den Zulauf der Leute.“ Und da passieren schon mal „blöde Fehler, die staatliche Kontrolleure auf den Plan rufen“. Wie etwa der einer 21jährigen Frau, die einer der Listenführer offenbar besonders fördern wollte, „weiß der Teufel warum“, und die plötzlich als „langjährige Witwe mit elf Kindern“ auf die Zentralliste geriet.

Mein Lachen bekommt Alemano offenbar in die falsche Kehle. „Hältst du wohl für neapolitanische Blödheit, eh?“ fragt er. Schließlich, so sein Konter, seien voriges Jahr, als die Bauern Nord- und Mittelitaliens wegen der Milchquoten die Straßen blockierten, bei Kontrollen auch Dutzende von Großställen als reine Erfindung aufgeflogen; der spektakulärste Fall war wohl der, bei dem als Adresse einer Hundertschaft von Milchkühen ausgerechnet die Piazza Navona im Zentrum Roms angegeben war. „So was immerhin ist uns noch nicht passiert. Aber du siehst, alle Welt ist ein Dorf“, sagt er und zitiert ein neapolitanisches Sprichwort. Dann muß er doch selbst lachen.

Das bleibt ihm allerdings wenig später im Hals stecken – an seinem Auto lehnen zwei Gestalten, die gar nichts Gutes verheißen. „Scheiße“, sagt er und drückt sich an die Hausmauer. Über sein Handy ruft er nacheinander drei Nummern an, flüstert, die beiden Männer im fest im Blick. Danach aber ist er noch ratloser. „Keine Ahnung, wer die schickt“, meint er und zieht mich weiter in den Schatten eines Torbogens zurück. „Ich hab' Hilfe bestellt.“

Unnötig, wie sich herausstellt: zwei Mädchen kommen mit einer Vespa, die beiden Männer reden, lachen, scherzen mit ihnen, dann steigt eine ab, einer der jungen Männer übernimmt das Steuern, das andere Pärchen geht zu Fuß weiter. Alemano wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Manchmal sieht man Gespenster“, sagt er. Dann übertönt wieder Mißtrauen seine Stimme: „Vielleicht haben die wirklich auf mich gewartet und wurden nur, nachdem ich telefoniert hatte, auf elegante Weise abgezogen“, sinniert er. Vorsichtig läßt er den Wagen an und atmet dann hörbar durch.

Erst langsam wird alles wieder zur Routine: er telefoniert seine Helfer durch, kontrolliert, ob sein Notebook noch in der Tasche steckt, stopft sich die beim Verstecken etwas nach oben gerutschten Geldscheine tiefer in die Jackentasche, fährt sich mit der Hand über die Haare und macht sich auf zum nächsten Treff.