„Wir wollen eine andere Art zu leben zeigen“

■ Die britische Band Rockbitch führt einen charmanten Kreuzzug für die befreite Sexualität aller Menschen / Dabei sehen Ordnungsbeamte immer öfter rot / Im Gegensatz zum 1997er-Auftritt durfte das Bremer Konzert am letzten Wochenende nur in zensierter Form über die Bühne gehen / Dabei vertritt Rockbitch Hippiebefreiungsmodelle

Was an Gerüchten über Rockbitch kursiert, klingt für Beamte offenbar schwer unsittlich. Schließlich werden die Inhalte von Songs wie ,Fist-Fuck' oder ,Piss-Trip' von der Band auf der Bühne direkt umgesetzt. Manches Ordnungsamt sieht da rot und fühlt sich bemüßigt, dem einen Riegel vorzuschieben. „Die (...) während der gesamten Dauer der Aufführung stattfindenden gegenseitigen Oralverkehre, das gegenseitige Lecken an den Brüsten und Geschlechtsteilen und das Masturbieren in allen erdenklichen Formen, sind nach der vorherrschenden Rechtsauffassung im Rahmen eines Gaststättenbetriebes als unsittlich zu werten. (...) Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (...) ist bei der Beurteilung, welche Wertvorstellungen als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind, nicht auf das Empfinden einer kleinen Minderheit, sondern auf die vorherrschende sozialethische Überzeugung der Allgemeinheit abzustellen.“ (aus der Verfügung des Stadtamtes Bremen vom 7. August 1998 betreffs des Auftrittes von Rockbitch am 8. August im Tivoli, Bremen).

Diese „vorherrschenden Überzeugungen“ variieren in diesem unserem föderalistischen Bundesstaat von Dorf zu Dorf. In München verhinderte, so Tourenmanager „Ray mit den langen Haaren“, ein Einsatzkommando von 300 Polizisten (22 davon angeblich soldatesk hochgerüstet) in letzter Minute das Konzert der sechs hyperzarten Musikerinnen (alle knapp 1.60 groß) und ihres pummeligen, schottenberockten Gitarristen. Erfurt forderte sogenannte „Entschärfung“. Leipzig und Dresden übten sich in Toleranz. Das Konzertplakat von mondrianscher Schlichtheit läßt wohl manche städtische Behörde in seeliger Unwissenheit.

Doch wer Rockbitch live erlebt hat, begreift unweigerlich, daß nicht Provokation ihr Ding ist, sondern Aufklärung – und altmodische, liebenswerte Hippiebefreiungsmodelle. Erstklassige Metalmusikerinnen sind sie sowieso. Die taz sprach nach ihrem „entschärften“ Auftritt im Bremer Tivoli mit den sanften, freundlichen, enthusiastischen, manchmal gar messianischen Menschen der Band.

taz: Die Behörden zensieren Eure Auftritte immer häufiger. Wie reagiert Ihr darauf?

Rockbitch: Die Behörden sehen uns nur als Porno-Show. Aber was tun wir den Rest der eineinhalb Stunden? Wir spielen Musik! In Deutschland sind die Behörden seltsam. Alle Leute in der Halle sind über 18 und können selber entscheiden, was ihnen zusagt und was nicht. Die Polizei kann uns nicht verhaften, denn wir brechen keine Gesetze. Sie greifen zu schmutzigen Tricks. In Nürnberg kam vor der Show ein Beamter. Wir fragten, ob wir irgendwelche Auflagen hätten. Der Polizist meinte: ,Macht Eure normale Show, und ich mache mir Notizen. Nachher setzen wir uns zusammen und diskutieren das.' Ich fragte ihn, ob er wisse, was wir auf der Bühne machen, und er sagte, er wisse das. Nach der Show war er nicht aufzutreiben. Als nächstes wurden vier Konzerte in Deutschland und alle sechs Shows in Österreich abgesagt. Er hatte an die deutsche Polizei und Interpol gefaxt, daß er uns Auflagen gegeben habe und wir uns nicht danach gerichtet hätten. Er hat gelogen, was uns sehr wütend machte. Hätte er uns Auflagen gegeben, hätten wir uns danach gerichtet. Sie sagen, es sei keine Kunst! Als wenn Polizeibeamte Kunstkritiker wären. Kunstkritiker mit Kanonen. Sie sagen, wir seien pornographisch. Nein! Wir sind ein Kommentar auf Pornographie. Wenn du Sex auf die Bühne bringst und darüber singst, dann ist das Kunst, auch wenn manche Leuten es hassen mögen.

Wie setzt sich Euer Publikum zusammen?

Sehr unterschiedlich. Neulich haben wir in Amsterdam vor eintausend Lesben gespielt. Es durften nur Frauen auf das Konzert. Die Atmosphäre war richtig heimelig. Die Frauen zogen ihre Tops aus und kamen nur in Hosen auf die Bühne. Einige im Publikum hatten Sex miteinander. All das wäre nicht passiert, wären Männer im Saal gewesen.

Rock'n'Roll hatte immer mit Sex zu tun. Allerdings mit männlichem Sex. Wenn Flea von den Red Hot Chilli Peppers nackt auftritt, dann ist er cool. Wenn Lisa, unsere Gitarristin, ihr Oberteil auszieht, werden wir dafür kritisiert. Unterschiedliche Maßstäbe! Wenn ein Typ viele Frauen fickt, ist er ein toller Hecht, wenn eine Frau viele Männer fickt, ist sie eine Hure.

Ihr versteht Euch als Feministinnen?

Was wir auf der Bühne machen, ist Feminismus für die Gegenwart. Der Feminismus hat eine Menge bewirkt. Er hat bewirkt, daß wir hier heute hinter der Bühne ohne Oberteil sitzen können. Das haben Frauen für uns getan. Wir leben seit fast zehn Jahren in einer Kommune in Frankreich zusammen. Acht Frauen und zwei Männer. Was wir zeigen wollen ist, daß es eine andere Art gibt, miteinander zu leben, daß Menschen sich ohne Eifersucht lieben können.

Während des ganzen Gesprächs streicheln sich die Frauen dezent an Kopf und Schulter – in unterschiedlichen Konstellationen

Aber in Eurer Show kommt diese Botschaft nicht explizit vor?

Wir machen auf der Bühne das, was wir sonst auch machen. In Deutschland ist es wegen der Sprachbarriere nicht so einfach für das Publikum, uns zu verstehen. Aber viele Männer und Frauen kommen zu uns, schreiben uns, sagen uns, wieviel Kraft wir ihnen geben. Kraft, zu tun, was sie wollen und nicht mehr in dem engen Käfig zu leben, den die moderne westliche Gesellschaft vorschreibt. Besonders Frauen. Sex bringt die Menschen zusammen. Bei uns können sich die Leute mit ihrer Sexualität aufgehoben fühlen. Wenn Leute das erste Mal von Rockbitch hören, denken sie, daß sie ein paar nackte Mädchen sehen werden, die ,uhuhuh' zu Musik vom Band machen. Viele kommen dann mit ihrer Freundin, die verhindern will, daß die Typen zu sehr auf die Show abfahren, denn das ist sehr bedrohlich für sie. Nach ein paar Songs sind die Männer verängstigt von dem, was sie sehen, weil es all ihren Vorstellungen von Frauen widerspricht. Die Frauen aber erkennen sich wieder in dem, was wir machen, kommen nach vorne und sind völlig begeistert. Das passiert wieder. Und wieder. Und wieder. Bei dem Konzert vorhin aber zugegebenermaßen nicht.

Wie ernst meint Ihr es, wenn Ihr die Sexualität als zentralen Punkt zur Veränderung der Gesellschaft bezeichnet?

Todernst! Wenn Sexualität nicht so ein zentraler Bestandteil der Gesellschaft wäre, dann gäbe es wegen dem, was wir machen, nicht so einen Wirbel. Seit Elvis handelt Rockmusik immer von Sex und Rebellion. Könnte es also einen angemesseneren Ort für das geben, was wir machen, als Musik?!

Wie würden sich denn die Verhältnisse verändern?

Es gäbe weniger Gewalt, mehr Verständnis. Vor allem zwischen Männern und Frauen.

Aber es gäbe immer noch Leute, die sich in Fabriken kaputtmalochen, nicht wahr?

Es gäbe fröhlichere Arbeiter.

Eine zweifelhafte Freude, unter diesen Verhältnissen.

Wir sind eine sexuelle Band und unsere Politik ist Sexualpolitik. Wir sind alle links. Aber es gibt eine Menge Themen, die wir im Rahmen unserer Rockperformance nicht kommentieren können. Es gibt Leute wie Rage Against The Machine oder Billy Bragg, die so etwas machen, und das ist toll, aber bei uns geht es eben vor allem um weibliche Sexualität.

Was hat es mit dem Manifest auf sich, daß Ihr auf der Bühne verlesen habt?

Das Manifest sagt: Wir glauben an die Befreinug aller Menschen durch freie und offene Sexualität. Wir singen darüber, wir zeigen sie, und wir teilen sie mit Euch. Und heute abend seid Ihr alle unsere LiebhaberInnen. Und wenn jemand von Euch keinen Sex mag, oder keine Musik, oder glaubt, wir müßten gestoppt werden, dann tut uns den Gefallen und schert Euch raus!

Daran glauben wir. Und wir gehen über Andeutungen hinaus. Wir haben normalerweise das goldene Kondom. Wir werfen es ins Publikum, und wer immer es fängt, alt oder jung, schön oder häßlich, männlich oder weiblich, wird hinter die Bühne genommen und hat Sex mit Lucie. Es ist sehr wichtig für uns, diesen Kontakt mit dem Publikum zu haben.

Wir verabscheuen die Art, wie Sex derzeit benutzt wird, um alle möglichen Produkte zu verkaufen. Sex ist überall, in der Werbung, in MTV-Clips, aber nichts davon ist wirklich. Es ist alles geheuchelt. Du hast Rockstars, die davon reden, wie sehr sie Sex lieben, und sie benutzen es nur, um ihr Produkt zu verkaufen. Das lehnen wir ab! Wir werden nicht heucheln! Wir ficken mit unserem Publikum.

Könnte denn jede von Euch mit jeder oder jedem aus dem Publikum Sex haben?

Nein. Drei von uns sind lesbisch, drei sind bisexuell. Aber weil wir nicht mit allen Fans Sex haben können – wir arbeiten daran –, haben wir das Platin-Kondom im Internet. Du gibst deine Daten ein, und wir wählen per Zufall jemanden aus, der oder die dann mit dreien von uns eine Nacht verbringt. Es ist kein Geld im Spiel! Das ist unser Bekenntnis zur Ehrlichkeit.

Ein Journalist hat mir einmal eine interessante Frage gestellt. Er zitierte einen bekannten Rocksänger, der sagte, er benutze Frauen, habe Sex mit ihnen und ziehe dann weiter. Was ich darüber dächte. Ich sagte ihm, das sei das Spiel. Sie ist das Groupie und er ist der Rockstar. Das wird es immer geben. Und ich mache es genau so. Ich ficke Frauen und verlasse die Stadt. Das ist nicht schlecht. Es ist die Frage, wer wen benutzt. Ich bin glücklich mit dem was ich tue, und die Frauen, mit denen ich Sex habe, sind auch immer froh darüber. Und sie kommen wieder. Sie widersprechen den Stereotypen darüber, wie eine Frau sein sollte.

Habt Ihr als MusikerInnen angefangen?

Wir hatten in unserer Kommune immer musikalische Mitglieder. Wir sind jetzt seit acht Jahren in dieser Konstellation professionelle Musiker. Unsere Sängerin kam als Groupie in die Band. Sie verliebte sich in Bitch, unsere Bassistin. Es war gerade der Mixer-Job frei, und so wurde sie Mischerin. Als dann unser Sänger ausstieg, wurde sie Sängerin. Unseren Lebensstil bringen wir aber erst seit zwei Jahren auf die Bühne. Wieder war es eine Reaktion auf die Heuchelei. Wir hatten so viele, vorwiegend männliche Bands getroffen, die darüber redeten, wie wild sie seien, und dann gingen sie heim zu ihren Frauen. Wir beschlossen, auf der Bühne das zu tun, was wir auch hinter der Bühne machten.

Wie stellt Ihr Euch eine sexuell befreite Gesellschaft vor?

Wir begründen unseren Lebensstil auf einer Rückkehr zur Unschuld. Wir schauen uns die Tiere an und denken, daß die es sehr gut haben. Und wir haben so bemerkenswerte Eigenschaften wie ein Bewußtsein und den weiblichen Orgasmus. Warum setzen wir nicht noch einen drauf?!

Es gibt die Bomoba-Affen. Die vögeln die ganze Zeit, hier, dort und überall. Aber es ist eine funktionierende soziale Struktur. Es gibt keine Gewalt in ihrem Stamm. Es ist eine matriarchale Gesellschaft, wie wir sie auch in der Kommune haben. Das bedeutet keine Umkehrung patriarchaler Verhältnisse. Es funktioniert eher wie eine Amöbe. Wir sind eine Gemeinschaft. Unsere Ziele sind Gruppenziele. In diesem Sinne sind wir vermutlich echte Kommunisten.

Wir haben in der Kommune mehr Frauen als Männer. Einzelne Männer sind meistens okay, aber wenn es zuviele werden, kommt es zu einer Herdendynamik, und sie werden kompetitiv, dumm. Die Ziele gehen in ihrem kleinlichen Machtkampf verloren. Wenn wir ihre Zahl niedrig halten, passiert das nicht.

Eine Menge männlicher Bands kommen auf Tournee nicht miteinander aus. Sie ertragen es nicht, im Tourbus nebeneinander zu sitzen. Wir sprachen mit „Venom“. Und sie meinten, das sei normal. Ihr Schlagzeuger fragte, wie es käme, daß wir so anders sind. Vor ein paar Monaten verbrachten wir neun Stunden im Van zusammen, eng aneinandergedrängt. Als wir nach vier Stunden anhielten um zu tanken, saßen wir alle auf dem Rasen, dicht aneinandergedrängt, genau wie im Van. Es ist seltsam, aber wir sind sehr glücklich. Und wir glauben, daß Sex das Herzstück ist. Was sonst könnte es sein. Schokolade vielleicht?! Vielleicht machen wir es falsch. Vielleicht sollten wir über Schokolade singen.

Jedenfalls wünschten wir uns wirklich, mehr Leute würden leben wie wir!

Fragen: Andreas Schnell