Powerplay mit Payola

Warum sich Privatradios von der Plattenindustrie vorschreiben lassen, mit welchem Liedgut sie ihre Hörer beschallen  ■ Von Stefan Müller

Wenn am Donnerstag die Kölner Musikmesse Popkomm ihre Pforten öffnet, gibt es Heulen und Zähneklappern bei der Phonowirtschaft. Im Juni und Juli gingen die CD-Verkäufe derart in den Keller, daß sich die Manager ernsthaft Sorgen machen. Jetzt muß schleunigst ein Sommerhit her, sonst ist die Saison vergeigt!

„No tengo dinero“ soll die Kassen wieder klingeln lassen – wie passend. Nur: Die Kunden schlafen ihren seligen Sommerschlaf und geben kein Geld für CDs aus. Da soll das Radio ran und die Unentschlossenen mit Dauerbeschallung, Branchenjargon: „Powerplay“, aufwecken und in die Plattenläden locken. Mit gnadenlosen Methoden: Aus Amerika stammt die rettende Idee mit dem schönen Kürzel „Payola“: Wir schmieren, ihr spielt. Neun kommerzielle Radiostationen nudeln bereits „No tengo dinero“, bis es den Hörern zu den Ohren wieder rauskommt – bis zu fünfmal am Tag. Und das nicht, weil deren Musikredaktionen das Liedchen so toll fänden. Wer den Song in die Senderotation hebt, für den rollen wirklich Dineros, denn in diesem Fall werden Werbespots geschaltet.

So sieht es ein Vermarktungsplan der Firma RMS vor, des größten Vermarkters von Radiowerbung in Deutschland, über den unlängst der Fachdienst epd Medien berichtete. Der Radiosender verspricht den Einsatz des Titels, die Plattenfirma verspricht Werbegelder. Da es auch in der Radiobranche eher trübe aussieht und die Werbeumsätze fast stagnieren, sind viele Sender offenbar zu jeder Schandtat bereit.

Denn die Werbegelder wären ein kleines Dankeschön für einen heftigen Rechtsbruch. In Deutschland müssen Werbung und Programm sauber getrennt werden, so wollen es die Landesmediengesetze. Wer sich den Einsatz von Musik mit Werbebuchungen honorieren läßt, handelt rechtswidrig. Er gibt die Programmhoheit nach außen. Skrupel hatten indes die wenigsten privaten Radiostationen. Bislang hat nur Hitradio FFH in Frankfurt am Main erklärt, daß man einen Verstoß gegen die Trennung von Programm und Werbung sehe, wenn über die Playlisten vorab gedealt werde: „Das ist sehr nahe an verdeckter Werbung“, glaubt FFH-Chef Hans-Dieter Hillmoth, „und wir wollen uns nicht auf etwas einlassen, bei dem die Hörer an der Nase herumgeführt werden.“

Kurioserweise hatte der hessische Privatsender die Möchtegern- Sommersingle bereits vor Beginn der Aktion gespielt und nach Hörertests wieder aus dem Programm bugsiert. Ganz anders bei Antenne Thüringen. „No tengo dinero“ ist seit fünf Wochen als „akzeptierter Titel“ gelistet, Platz 15 in den Hörercharts. Trotzdem behauptet Geschäftsführer Hans-Jürgen Kratz: „Ich lasse mir von niemandem etwas vorschreiben.“ Der Titel werde nur so häufig eingesetzt, wie es den Hörern zuzumuten sei. Für Kratz ist das neue Payola-Prinzip kein Rechtsbruch, sondern nur ein „Frühwarnsystem“, mit dem die Plattenfirmen prüfen, ob es lohnt, Spots zu schalten.

RMS hat das deutsche Payola- Prinzip mit dem Namen „Pop-Preview“ ausgetüftelt und will im September Bilanz ziehen. Bei Chart- Erfolg soll es groß weitergehen. Über die Nichtteilnahme von Hitradio FFH sei man bei der RMS „bestürzt“ gewesen, sagt Hans- Dieter Hillmoth, der eine interne Diskussion über das Thema bei seinem Vermarkter RMS anregen will. Denn ein solcher bundesweiter Marketingplan ist ein Novum in der Rundfunklandschaft. Auch der Bundesverband Phonowirtschaft wittert Schmu und hat die Wertung des Radioeinsatzes der Testsingle (derzeit Platz 20 in den Single-Charts) bei der Hitparaden- Ermittlung während der dreiwöchigen Aktionsphase ausgesetzt. Doch RMS steht nicht allein da.

Auch die Konkurrenz von der Bertelsmann-/RTL-Tochter IP Deutschland findet die Idee gar nicht so schlecht, weil „kreative Ideen immer gut sind und dem Radiomarkt guttun“, wie IP-Frau Susanne Baldauf sagt. Man könne den Sendern aber nicht in ihre Programmhoheit funken. Laut Kollege Stefan Preussler (RMS) spielen die Radiostationen den Song auch nur, wenn er in das jeweilige Musikformat paßt. Hans-Dieter Hillmoth von FFH fürchtet indes, durch diese Aktionen sollten Musiktitel zu Hits gemacht werden, die gar nicht das Potential dazu haben. Wahrscheinlich schafft es das Bettel-Lied „No tengo dinero“ sowieso nicht mehr zum Sommerhit. Schließlich heißen die Interpreten „Los Umbrellos“. Und wer möchte im Sommer schon gerne an Regenschirme denken?