: Eine Todesfatwa gegen alle Amerikaner
Einige Indizien sprechen dafür, daß die Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania von militanten Muslimen verübt wurden. Für islamistischen Organisationen wäre das Ergebnis ein Desaster ■ Von Thomas Dreger
Berlin (taz) – Seit fast einer Woche liegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania in Trümmern und über die Täter gibt es nur Spekulationen. Zwei Indizien sprechen dafür, daß es sich um militanten Islamisten handelt:
Wenige Tage, bevor die Bomben explodierten, veröffentlichte die in London erscheinende arabische Zeitung al-Hayat eine Erklärung des ägyptischen „Dschihad Islami“. Darin wurde den USA Vergeltung dafür angedroht, daß US-Truppen in Albanien vier ägyptische Islamisten gefangen und nach Ägypten ausgeliefert hätten. Der Vorfall war weder von offizieller US-amerikanischer noch von ägyptischer Seite bekanntgegeben worden, wohl aber von ägyptischen Islamisten im Londoner Exil.
Bei den Ausgelieferten dürfte es sich um „arabische Afghanen“ handeln, ehemalige Kämpfer an der Seite der vom Westen unterstützten Mudschaheddin gegen die „gottlosen Kommunisten“ in Kabul. Seit dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan fristen etliche von ihnen ein Söldnerdasein. „Dschihad Islami“ soll maßgeblich aus solchen „Afghanen“ bestehen.
Am Abend nach den Attentaten meldete sich im Kairoer Büro von al-Hayat und bei dem Fernsehsender al-Dschasira in Katar per Telefon ein Mann. Die Attentate gingen auf das Konto einer „Islamischen Armee zur Befreiung der Heiligen Stätten“, erklärte er. Inspiriert sei die Gruppe unter anderem von Ussama Bin Laden. Eine Organisation mit dem genannten Namen ist gänzlich unbekannt. Die „Heiligen Stätten des Islam“ sind in islamischer Terminologie Mekka und Medina, die im heutigen Saudi-Arabien gelegene Wiege des Islam.
Genau dorther stammt Ussama Bin Laden. Aus Saudi-Arabien ausgebürgert und gleichzeitig per Haftbefehl gesucht sowie mit einer Milliardenerbschaft ausgestattet sitzt er im von den Taliban beherrschten Afghanistan und wettert gegen die USA und das saudische Königshaus. Mehrfach empfing er in den letzten Monaten westliche Reporter, ließ sich samt Kalaschnikow filmen. Dabei klopfte er Sprüche wie: „Falls es Terrorismus ist, mein Land zu befreien, dann ist das eine Ehre für mich.“ Besonderer Dorn im Auge sind ihm die seit dem Krieg um Kuwait in Saudi-Arabien stationierten US-Truppen. Denn diese würden die „Heiligen Stätten des Islam“ besetzen.
Im Februar tauchte in arabischen Zeitungen ein erstaunliches Pamphlet auf: Es sei „individuelle Pflicht eines jeden Muslim in jedem Land, Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten – Zivilisten und Militärs.“ Überschrieben war die Erklärung mit „Fatwa“ – islamisches Rechtsgutachten. Darunter fand sich eine Auflistung islamistischer Prominenz: Die Führer des ägyptischen „Dschihad Islami“, des pakistanischen Harakat-ul Ansar, des Dschihad in Bangladesch und der ägyptischen Gamaa al-Islamia hatten unterschrieben. „Internationale Islamische Front“ nannte sich dieses Bündnis, das Warnungen vor einer „Islamistischen Internationale“ neue Nahrung verschaffte.
Doch bisher gibt es keine Informationen darüber, ob der illustre Kreis über das Verfassen ihrer „Fatwa“ hinaus Aktivitäten entfaltete – geschweige denn, ob sie ihre logistischen Strukturen verquickt haben. Das wäre ein schwieriges Unterfangen. Denn außer Haß auf den Westen verbunden mit religiöser Heilserwartung eint Islamisten weltweit bisher wenig. Zwischen den algerischen „Bewaffneten Gruppen“ (GIA), der palästinensischen Hamas und den afghanischen Taliban liegen Welten. Spaltungen und Zerwürfnisse sind meist von längerer Dauer als Bündnisse. Entsprechend bröckelt es auch in der „Internationalen Islamischen Front“: Wenige Tage vor den Attentaten in Nairobi und Daressalam sprang die ägyptische Gamaa al-Islamia ab. Er ziehe seine Unterschrift unter der „Fatwa“ zurück, erklärte ihr Vertreter Rafai Ahmad Taha.
Sollten die Bombenleger von Daressalam und Nairobi Islamisten sein – die Attentate wären für sie ein politisches Desaster. Islamisten stellen sich als religiöse Internationalisten dar. Gerne sprechen sie von Befreiung der Dritten Welt vom Joch des Imperialismus. Anschläge, bei denen neben zwölf US-Amerikanern fast 200 KenianerInnen getötet werden, sind da schwer zu erklären. Zumal in einem Land, in dem 20 Prozent der EinwohnerInnen Muslime sind – unter den Opfern also zwangsläufig Glaubensbrüder sein müssen. Die Ereignisse lassen zwei Schlüsse zu: Entweder ist bei den Anschlägen etwas gewaltig schief gelaufen, oder die Attentäter sind in anderen Kreisen zu suchen.
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