Japans Wirtschaft und Währung im Sturzflug

■ Yen auf dem tiefsten Stand seit acht Jahren. Planungsbehörde gibt erstmals zu, daß die Wirtschaft niedergeht. Kurseinbrüche in ganz Fernost. Sorge um Chinas Währung

Berlin (taz) – Die Wirtschaft stagniert nicht, sie befindet sich vielmehr im Niedergang. Die japanische Planungsbehörde hat gestern in ihrem Monatsbericht – dem ersten seit dem kürzlichen Amtsantritt von Premierminister Keizo Obushi – klare Worte gefunden. Planungsminister Taichi Sakaiya widersprach damit den stets schönfärberischen Analysen seines Vorgängers. „Endlich beugt sich die Regierung der Realität“, seufzte erleichtert die größte japanische Zeitung Asahi Shimbun.

Die Finanzmärkte dankten der Regierung ihre neue Offenheit dagegen nicht. Der Kurs des Yen befindet sich seit Tagen im freien Fall. Gestern erreichte er den tiefsten Stand seit acht Jahren gegenüber dem US-Dollar. Für einen Dollar mußte man nun schon 147,40 Yen hinlegen. Damit ist die japanische Währung unter die Marke gesunken, bei der Mitte Juni die USA und Japan mit enormen Stützungskäufen in den Markt eingegriffen hatten.

Der erneute Schwächeanfall des Yen hat nicht nur an der Tokioter Börse, sondern in ganz Fernost Kurseinbrüche ausgelöst. In Hongkong fiel der Aktienindex auf den tiefsten Stand seit fünf Jahren, und in Singapur und Malaysia fuhren die Aktienkurse in Richtung Zehnjahrestief. In New York sank der Dow Jones in der ersten Stunde nach der Öffnung der Börse um 2,4 Prozent auf 8.361 Punkte. Sorgen macht den Finanzexperten jetzt die Frage, ob China in den Strudel gezogen wird und seine Währung, den Yuan, abwertet. Damit würde die neben Indien einzige noch stabile Volkswirtschaft in Asien ins Trudeln kommen. Für China könnte ein solcher Schritt kurzfristige Vorteile haben. Denn dadurch würden die Exportwaren billiger werden und damit attraktiver für die Kunden. Die gefürchteten Folgen: Andere Schwellenländer – von Thailand über Rußland bis Brasilien – könnten sich gezwungen sehen, ihrerseits abzuwerten, um mit ihren Produkten auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Durch die Billigkonkurrenz wiederum würde auch in den Industrieländern die Wirtschaft unter Druck geraten.

Doch vermutlich wird es so weit nicht kommen. Zumindest jetzt nicht. Der Yuan ist keine frei konvertierbare Währung. Der Kurs wird vom Staat festgelegt und ist mithin ein politischer Kurs. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die chinesische Regierung eine solche politische Entscheidung jetzt in dieses unsichere ökonomische Umfeld hinein trifft“, meint eine Analystin bei der Deutschen Bank.

Für die japanische Volkswirtschaft hat die weitere Verbilligung des Yen die gleichen Vorteile, wie eine Abwertung des Yuan für China hätte. Die Exporte werden konkurrenzfähiger – zu Lasten der konkurrierenden Volkswirtschaften. Genau das ist es, was im Juni die US-Regierung auf den Plan treten ließ. Je billiger der Yen ist, desto mehr US-Bürger kaufen die billigen japanischen Waren. Umgekehrt haben die teuren US-Exporte immer geringere Chancen. Daß die US-Wirtschaft im zweiten Quartal 98 mit nur noch 1,4 Prozent viel langsamer als zuvor wuchs, ist zum Großteil auf das wachsende Handelsdefizit mit Asien und vor allem Japan zurückzuführen.

Diesmal ist wohl nicht damit zu rechnen, daß die USA zugunsten des Yen auf den Finanzmärkten intervenieren. Auch die Intervention vom Juni – damals kauften die USA und Japan Yen für schätzungsweise vier Milliarden US-Dollar – hatte nicht viel mehr als eine Atempause bewirken können. Eine Atempause, die die japanische Regierung nach Ansicht der USA für die lange angemahnten Wirtschaftsreformen nutzen sollte. Statt dessen aber trat die damalige Regierung unter Ryutaro Hashimoto zurück und überließ es der neuen Regierung unter Keizo Obushi, neue Reformversprechen zu verkünden. Die Anleger auf den Finanzmärkten aber scheinen zu wissen, was sie von solchen Versprechen zu halten haben: Sie fliehen aus dem Yen. Nicola Liebert