Gutes Seattle, schlechtes Seattle

■ Grunge-Movie als Dailysoap: Kristine Petersons Slaves To The Underground

Seattle im Herbst. Dort lebt Jimmy. Jimmy verbringt seine liebe Zeit, indem er Fanzines macht und Musik hört. Dazu trägt er ein Jeansjackenimitat und später einen Anzug, in dem er ein wenig aussieht, als hätte sich Woody Harrelson in eine ZDF-Vorabendserie verirrt. Sein Lieblingssatz ist: „Kann ich irgendwas für dich tun?“

Jimmy spielt den „Slacker“ in Kristine Petersons Jugendfilm Slaves to the Underground – Szene putzen in Seattle. Eine Ent- und Verwicklungsgeschichte dreier Twens, die auch sonst alles hält, was ihr Titel verspricht. Zum Beispiel die Beantwortung der Frage: Warum werden Frauen lesbisch? Na, nicht gewußt? Da kann Shelley weiterhelfen. Sie steht hier für das Modell „empfindsame Musikerin (bisexuell)“. Ihr Lieblingssatz lautet daher: „Ich bin verwirrt.“ Denn eigentlich ist Shelley ja mit Jimmy zusammen, liebt ihn auch irgendwie, mußte ihn aber verlassen, weil sie von dessen Freund vergewaltigt wurde. Jimmy weiß von nichts und noch weniger von Suzy, mit der Shelley plötzlich mehr als die gemeinsame Punk-Band teilt. Suzy, Modell „Courtney Love“, ist wiederum die Bitch im Ring, das Riot Grrrl, wie es sich Focus-Redakteure in ihren feuchten Träumen vorstellen. In einer der ersten Szenen springt sie von der Bühne und bricht dem zufällig anwesenden Vergewaltiger die Nase. Lieblingssatz: „Schwanz ab!“

Über diese Ansammlung hanebüchener Charaktere und erzählerischer Unstimmigkeiten hinaus gelingt Peterson eine perfide Abrechnung mit subkulturellen Lebens- und Protestformen. Die Gleichung Punkmusikerin gleich Radikalfeministin gleich Lesbe schafft ein bürgerliches Horrorszenario, das erst mit den sozialdidaktischen Mitteln einer Dailysoap zurück in eine „Normalität“, sprich das Erwachsensein, überführt werden muß. Auf Aufruhr folgt Anpassung, auf Radikalität Langeweile. Suzys Riotness endet im ruhigen Gespräch mit einem Politiker, Shelley opfert sich und ihre Sexualität der Karriere als sanfte Rebellin. Und Jimmy? Der geläuterte Slacker übernimmt den total legendären Musikclub, der ihm am Anfang des Films dummerweise noch völlig unbekannt war. „Seit Grunge war hier doch nichts mehr los“, heißt es an einer Stelle, und man ahnt, daß hier neben Pädagogen auch Musikfreunde ins Kino gelockt werden sollen. Denen sei versichert: In Filmen, wo Schauspieler so tun, als seien sie coole Musiker und Statisten, als seien sie begeisterte Fans, möchte man nur eins: vor Peinlichkeit im Sessel versinken. Michael Hess

Do, 13. bis Mi, 19. August, 17 +23 Uhr, Abaton