„Das rechnet sich“

Schwarzfahrer aus Passion: Gegen teure Fahrpreise und Kopfgeldjägermentalitäten  ■ Von Heike Dierbach

Mike N. war gerade zur „Fortbildung“ in London. „Da gibt es vor allen Bahnsteigen Drehkreuze, wo man nur mit Fahrkarte durchkommt,“ hat er gelernt. Und: „mit einer Karte passen locker vier bis fünf Personen durch.“ Außerdem, schwärmt er, dürften einen die englischen Kontrolleure nicht festhalten – ein Paradies für Schwarzfahrer!

Die Skrupel vor der „Erschleichung von Beförderungsleistung“ hat der 29jährige Hamburger schon vor langer Zeit überwunden – durch fleißiges Training. „Früher war es mir schon tierisch peinlich, wenn ich nur meine Schülerjahreskarte vergessen hatte“, erinnert sich der Student, „ich dachte, alle gucken.“ Schnell habe er dann aber gemerkt, daß es die übrigen Fahrgäste im Abteil „nicht die Bohne interessierte“, wenn er aufgeschrieben wurde. Überhaupt sei das Schwarzfahren ja „gesellschaftlich akzeptiert“, bei den „scheißteuren“ Fahrpreisen des HVV.

Wieviel es in Hamburg kostet, mit der Bahn von A nach B zu kommen, realisierte Mike erst nach der Schule. „Da habe ich dann angefangen, das Ganze zu professionalisieren.“ Mit einer Rasierklinge trennte er die letzte Ziffer aus der Jahresmarke seines Dauerfahrscheins ab und fügte die jeweils passende ein – so wurde aus 1990 und der Eins aus 1989 problemlos und kostengünstig 1991. „Das hat prima geklappt“, freut sich Mike heute noch. „Leider, leider“ stellte der HVV zwei Jahre später auf Computerkarten um. Mike erwarb versuchsweise eine CC-Karte. „Aber als ich dann vier Monate nicht kontrolliert wurde, dachte ich: Schwarzfahren rechnet sich!“

Natürlich nur, wenn man fachmännisch vorgeht, betont er. Früher sei es ja einfach gewesen, die Kontrolleure zu erkennen: Drei bis vier Opas in Windjacken, die sich auf die beiden Eingangstüren des Abteils verteilten. „Das ging wunderbar.“ Später kamen jüngere Kontrolleure hinzu. Trotzdem, so Mike, lag seine Erfolgsquote stets bei 80 bis 90 Prozent. „Wenn ich doch einmal erwischt wurde, habe ich das Bußgeld in kleinen Beträgen abgestottert, heute 3,33 Mark, nach drei Wochen 4,01 Mark, und so weiter.“ Wenn 15 Mark zusammen waren, stellte er die Zahlungen ein. „Danach hat sich nie wieder einer gemeldet.“

Doch dann häuften sich plötzlich die Niederlagen: Mike wurde innerhalb eines Monats drei Mal erwischt, kam mit den Zahlungen durcheinander, „mein ganzes System brach zusammen.“ Der Profi wurde zu 250 Mark Strafe verurteilt. Während er diese noch abstotterte, setzte das Semesterticket seiner Schwarzfahrer-Karriere ein Ende – vorläufig. „Ich habe mir schon überlegt, daß ich mich von dem Ticket befreien lasse“, meint er, „man hat ja gar keine Chance mehr, schwarzzufahren.“ Es sei ihm eine echtes Bedürfnis, „weil ich diese Kopfgeldjäger-Mentalität der Kontros einfach ätzend finde“.

Mikes Traum? „Eine echte Kampagne fürs Schwarzfahren und für kostenlosen Nahverkehr.“ In London, schwärmt er wieder, gebe es in den Zügen Aufkleber, die den Leuten erklären, wie sie durch die Drehkreuze kommen. „Sowas in Hamburg wäre super.“ Oder Plakate, wie jenes, das er vor Jahren mal gesehen hat: „Ich habe mir eine Fahrkarte gekauft – das schöne Geld war futsch, und alle haben's gesehen.“