Ohne Wahl, aber mit lauter Stimme

■ Eine „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“ macht sich auf den Weg quer durch Deutschland

„Jetzt geht's los!“ rufen ihre Plakate an den Hauswänden. Der Countdown läuft für die Flüchtlingskarawane, die sich morgen mit tamilischem Tanz und kurdischem Pop und „12 Tassen Wasser“ aus Bremen verabschiedet, um sich übermorgen, am Samstag, dem 15. August, auf ihren Weg durchs wüste Bundesgebiet zu machen. Gestern aber fanden sich zehn Mitreisende noch im Lagerhaus zusammen, beredeten in buntem französisch-deutsch-türkisch-englischen Babylonismus die letzten Reisevorbereitungen und stellten sich der Öffentlichkeit vor: Gestatten, seit vielen Monaten haben wir unsere gefährliche Reise im Haus des Bremer Menschenrechtsvereins geplant, unser Name ist „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“.

Durch 44 deutsche Städte soll ihre Fahrt gehen; vom äußersten Nordwesten des Landes bis (kurz) über die polnische Grenze und weiter durch Thüringen Richtung Bayern, rüber nach Straßburg, bis endlich nach fünf langen Reisewochen am 20. September in Köln die Zelte zum letzten Mal aufgeschlagen werden. Laut wird es dabei zugehen – nicht nur bei der angekündigten Großkundgebung am Zielort. Denn es herrscht Wahlkampf in Deutschland, die Möchtegern-Innenminister der Volksparteien rühren die Trommeln gegen Flüchtlinge und MigrantInnen, und diese wollen beweisen: Wir haben zwar keine Wahl, wohl aber eine Stimme. Mit dieser wollen KurdInnen und IranerInnen, TamilInnen oder TogoerInnen „auf ihre Probleme in Deutschland“ aufmerksam machen. Auf Ratten im Bremer Wohnheim in der Steinitzer Straße zum Beispiel, von denen gestern ein iranischer Flüchtling auf dem Podium erzählte; auf doppelte Stacheldrahtzäune rund ums „Asylheim in Tambach-Dietharz“ bei Jena, wo 500 Menschen von 10 Wachmännern und vier scharfen Wachhunden rund um die Uhr „beschützt“ werden (so The Voice Jena) oder auf ein Asylbewerberleistungsgesetz, das genau diese Leistungen reduzieren soll. Die Sprecherin eines Bündnisses für Lesben- und Frauengruppen, Malgorzata Glowania, forderte, daß endlich frauenspezifische Fluchtgründe anerkannt werden. „Save our souls!“, so der gemeinsam Ruf – nicht zuletzt an die Deutschen gerichtet, die gern mitreisen dürften – denn, so der Iraner auf dem Podium: „Im Iran ist unser Leben gefährdet – in Deutschland sind es unsere Seelen.“

Und doch ist auch zwei Tage vor Abfahrt nicht klar, ob dieser iranische Flüchtling mitreisen wird. Denn in Deutschland gibt es die Residenzpflicht für Asylbewerber – die dürfen sich nur bis zu zwanzig Kilometer von ihrem Wohnheim entfernen und müssen sich täglich zurückmelden. „Wir fordern niemanden auf, gegen die Residenzpflicht zu verstoßen“, betonten gestern die Mitglieder vom Bremer Menschenrechtsverein; die Karawane werde sowieso wie „ein Staffellauf“ funktionieren. Gemeinsam werde man im Autokonvoi bis zur nächsten Station fahren und dann den Stab an die dort wartenden Gruppen übergeben.

Doch bis zur Staffelübergabe wird es noch zwei Tage dauern. Erstmal wird jetzt zwei lange Tage in Bremen gefeiert. Morgen um 18 Uhr geht es am Krummen Arm los, am Samstag trifft sich ein Sternmarsch aus allen Teilen der Stadt am Goetheplatz. Dort setzt sich die Karawane um 13.30 Uhr gen Hamburg in Bewegung. „Hoffentlich kommen genügend Leute mit Autos“, trommelt das Reisekomitee: Damit ein jeder auch noch spontan sein Säcklein schnüren kann.

Um die Steine im Weg zumindest will man sich nun nicht mehr kümmern. Die warf zuletzt Bremens Innensenator Ralf Borttscheller (CDU), der hinter der Karawane eher räuberische Beduinen zu vermuten scheint. Der Bremer Menschenrechtsverein sei eine Tarnorganisation der „systemfeindlichen Krawallmacher“ vom Bremer Antirassismusbüro (ARAB), so Borttscheller vor einer Woche. Diese „Hintermänner und Drahtzieher kämpfen gegen die Republik“ – das müsse allen klar sein, die in der Karawane „mitmarschieren wollen.“ Von einem Marsch aber war dort noch nicht die Rede.

ritz