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Fallada lesen und Fauser verehren

■ Die Rückkehr der Beat Generation: Paul Lukas, ehemaliger Bassist von Element Of Crime, hat mit „Ihn“ seinen ersten Roman geschrieben

Huch, wo befinden wir uns denn hier? In „Ihn“, dem Debütroman von Paul Lukas, ganz klar. Da sind erst mal der Ich-Erzähler und seine Freundin Karin auf der Fahrt in das marokkanische Gebirgsdorf Ketama, „von Anachronisten der Hippiebewegung als sagenumwobenes Mekka stabilisierenden Hanfes beschrieben“. Sie werden von Bauernsöhnen verfolgt, lungern schließlich beide mit Hans Falladas „Trinker“ und dem Pfeifchen in der Hand tagelang bei einheimischen Hanfzüchtern herum und machen natürlich auch Liebe, daß sich die Bettstangen biegen. Und selbstverständlich fühlt sich der Ich-Erzähler noch berufen, ein großer Dichter zu werden!

Hätte man nicht für möglich gehalten, in einem Roman, der in den späten Neunzigern entstanden ist, so viel originale Hippiefreuden, so viel Rohstoff und Anachronismen aus dem Geiste der Beat Generation zu finden.

Erst Hausbesetzer, dann Popstar

Schon gar nicht, wenn dieser Roman von jemand wie Paul Lukas, Jahrgang 1957, stammt, von dem man beim ersten Blick auf seine Biographie eher erwartet hätte, einen richtig tiefblickenden Szeneroman auf den Büchertisch zu bekommen, einen Abgesang auf die Achtziger, einen Berlin-Roman der Neunziger, was auch immer. Denn nachdem Lukas 1981 nach Berlin gekommen war, schlug er sich als Hausbesetzer, Lieferfahrer, Barkeeper oder Konzertveranstalter durchs Berliner Szeneleben der Achtziger und wurde dann semiprominent als Bassist von Element Of Crime.

Mit „Ihn“ aber hat er eine On- the-road-Geschichte geschrieben, die von Marokko über Spanien nach Portugal führt und in einer nordhessischen Kleinstadt ihr Ende findet. Mit freier Liebe, Gruppensex, Aussteigergemeinden, mit einem Helden, der kleinstädtisch und kleinbürgerlich sozialisiert ist, ein Filou, ein ewiger Zweifler, der auf der Suche nach sich selbst ist.

Was dann aber alles gar nicht so schlimm zu lesen ist. Zum einen, weil es sowieso zuviel schlechte Szene- und Berlin-Romane gibt, zum anderen, weil es Lukas gelingt, seinen Helden mit viel Tolpatschigkeiten, Witz, Selbstironie und manchmal auch klugen Selbsteinsichten auszustatten. Der Junge wird einem beim Lesen sympathisch, seine kleineren und größeren Unglücke, die ihm unablässig widerfahren, wirken anziehend: Die Drogendeals funktionieren nicht, das Schmuggeln von Drogen führt ihn in ein spanisches Gefängnis, Karin, seine große Liebe, läuft ihm davon und er ihr schließlich das gesamte Buch über hinter her.

Verzeihen tut man ihm so auch noch die pubertär wirkenden großkotzigen Bezeichnungen für sie wie „Traumfrau“ und „Klasseweib“, die sich mit ihrem „goldbraunen Federgewicht“ und „ausgebreiteten Luxuskörper“ ihm hingibt.

Der Weg ist das Ziel, die Suche auch

Ärgerlicher sind schon die vielen notdürftig umschriebenen Allgemeinplätze und Banalitäten, die Lukas seinen Helden eine Idee zu oft sagen läßt, die das gesamte Buch durchziehen und die Lesefreuden etwas trüben: „Montezuma ist kein Araber, aber die Götter sind überall, und seine Rache war ohne jeden Zweifel über mich gekommen“; „das einzige Licht, das mir meine krankhafte Skepsis nie ganz auszublasen vermochte, war das Licht am Ende des Tunnels“. Oder, eine der Essenzen dieses Romans: „Der Weg ist das Ziel, und eine Suche auch immer die Suche nach dir selbst. Oder so ähnlich.“ Auch die Suche nach höheren Mächten könnte dann „so ähnlich“ bedeuten, denn öfters setzt sich Lukas' Ich-Erzähler mit dem titelgebenden „Ihn“ in Verbindung, verzweifelt an ihm, fragt ihn um Hilfe, hofft auf ihn.

Was aber alles nichts hilft: Am Ende landet er wieder in seiner nordhessischen Kleinstadt und muß, leider kein bißchen weiser geworden, seine Erziehung des Herzens und des Schreibens als vollends gescheitert betrachten. Gerrit Bartels

Paul Lukas: „Ihn“. Reclam Verlag Leipzig, 218 Seiten, 16,90 DM

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