Röber sitzt der Schwan im Nacken

Die Bundesliga im großen taz-Test (VIII): Hertha BSC will diesmal Krisen aller Art vermeiden und mit kontrollierter Offensive im vorderen Feld der Liga mitspielen  ■ Tester: Matti Lieske

Wie groß ist der Berti-Faktor?

Jürgen Röber ist ein Fußballfan. Wenn er über die Fähigkeiten von Dariusz Wosz spricht oder die Behauptungsfähigkeit von Alphonse Tchami („da kommt keiner dran, bei dem Körper, nicht mal solche Ochsen, wie sie Barcelona hinten hat“), beginnen sofort seine Augen zu glänzen. Der Hertha-Trainer liebt und lobt attraktiven Fußball, aber das tut Berti Vogts auch. Anders als der Bundestrainer versucht Röber diesen Fußball jedoch spielen zu lassen, auch wenn gegen Ende bei positivem Spielstand oft bertihafte Schneckenhausmentalität einsetzt. Einkäufe wie Aufstellung sind dennoch von Angriffsgeist geprägt. Mit Tretschok, Wosz, Thom, Roy, Covic verfügt Hertha über eine Reihe von Offensivkräften hinter den Spitzen Preetz und Tchami, die auch tatsächlich zum Einsatz kommen – selten gleichzeitig allerdings. In der letzten Saison hatte der Mut seinen Preis – in Gestalt vieler Konter- Gegentore. Zumindest beim dienstäglichen 1:1 gegen den FC Barcelona zeigte sich die Abwehr, unterstützt von den fleißigen Neulingen Wosz und Tretschok, aber sehr gefestigt und kontrollierte Barças Stürmerstars wie Cocu, Luis Enrique, Zenden oder Figo meist recht gut. Nur Rivaldo nicht. Ein verzeihlicher Umstand. Berti- Faktor insgesamt: niedrige 30.

Wird Fußball gespielt?

Es wird zumindest versucht. Schnelles Direktspiel im Mittelfeld, besetzte Flügel, Vorstöße von Mandreko und Herzog an der Seitenlinie, die Umsicht von Libero Rekdal und, als neue Option, die Unberechenbarkeit von Wosz könnten dafür sorgen, daß es gelegentlich klappt.

Wer hilft?

Robert Schwan. Fern in den Bergen haust der böse Geist und fährt hin und wieder hernieder, um mit seinem gebirgserprobten Wanderstock in der Geschäftsstelle zu wüten und jeden in Grund und Boden zu schmettern, der ihm nicht paßt. Das sind so ziemlich alle. Mit Schwan im Nacken kann sich der Verein keinen Moment der Nachlässigkeit leisten. Wie gerüchteweise verlautet, wacht in der Geschäftsstelle Tag und Nacht ein Posten über den Vertrag von Röber, damit Schwan nicht unversehens vorbeikommen und ihn zerreißen kann.

Wer stört?

Robert Schwan. Mit seinen Ausbrüchen verhindert er kontinuierliches ruhiges Arbeiten und bringt den Verein schon bei kleineren Rückschlägen zügig an den Rand des Abgrundes. Einziges Gegenmittel: Rückschläge vermeiden. Gutes Zureden, das hat sich gezeigt, hilft jedenfalls genausowenig wie Knoblauch und Kreuz schlagen.

Was macht der Trainer?

Er fürchtet sich. Vor Schwan und davor, daß die neue Saison ähnlich miserabel beginnt wie die letzte. Auf der anderen Seite hat er bei VfB Stuttgart und Hertha schon alles erlebt, was der Fußball an Demütigung zu bieten hat. So leicht kann ihn nichts mehr erschüttern.

Was macht der Torwart?

Weiß keiner. Mal pflückt Gabor Kiraly einem Figo oder Luis Enrique die Kugel vom Fuß, dann läßt er harmlose Schüsse prallen oder dribbelt in verschärfter Higuita- Manier. Was ihm keinesfalls fehlt, ist Selbstbewußtsein. Als ihm jüngst per Abschlag das Tor des Monats gelang, tat er glatt so, als wäre das Absicht gewesen.

Wie will man Tore schießen?

Indem sich Tchami, der die Gegner sogar im Liegen ausspielt, durchwühlt und dann den gescheiten Paß spielt oder selbst trifft. Indem Wosz die Abwehr depositioniert und den gescheiten Paß spielt oder selbst trifft. Durch Freistöße von Rekdal, Geistesblitze von Thom oder, wenn gar nichts mehr geht, nach der Bierhoff-Methode, die bei Hertha „Flanke-Preetz“ heißt.

Wer ist der Beste?

Dariusz Wosz. Genau der Mann, der Vogts in Frankreich fehlte. „Er kann eins gegen eins spielen, ein, zwei Gegner aussteigen lassen, dann ist sofort Verwirrung“, schwärmt Trainer Röber, der dem Ex-Bochumer alle Freiheiten läßt. Wosz hilft hinten, ist mal links, mal rechts und bringt etwas, das Hertha bisher nicht hatte: Torgefährlichkeit aus dem Mittelfeld.

Allgemeines Qualitätsdefizit

Nach Dinzeys Weggang fehlt es in der Defensive an Schnelligkeit, und sowohl Herzog als auch Mandreko neigen zu unglücklichem Zweikampfverhalten und gefährlichen Ballverlusten. Bei den Stürmern fehlen Alternativen, zumal Tchamis Wühlmausfußball sehr verletzungsträchtig ist. Nach wie vor besteht die Tendenz, die Initiative abzugeben, sich einzuigeln und fast sichere Siege noch zu verspielen – wie gegen Barcelona, wo Rivaldo in letzter Minute der Ausgleich gelang. Qualitätsdefizit: 50.

taz-Prognose: Uefa-Cup-Platz oder Abstieg (Schwan!)