Kreide fressen fürs deutsche Vaterland

Kameradschaftsabend an der Ostseeküste: Der NPD-Spitzenkandidat Thorsten Kowalski setzt für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern auf gemäßigte Auftritte seiner Truppe  ■ Von Annette Rogalla und Andreas Schoelzel (Fotos)

Überrumpelt fühlt sich der Wirt und „schamlos belogen“. Schweißperlen tropfen von seiner Stirn. Auf einen Liedernachmittag hatte er sich vorbereitet. Eine Gruppe von Naturfreunden hatte er erwartet. „Und nun das!“ Herr Sch., CDU-Mitglied und Gastwirt in Ribnitz-Damgarten bei Rostock, schaut verächtlich in die Runde. Da sitzen sie: 58 junge Männer und ein paar Mädchen. Die Damen tragen ausnahmslos Hellblond, die Herren gebügelte T-Shirts und weißgeschnürte Stiefel. Sie singen nicht vom Vogel, der Hochzeit machen wollte, sondern vom Soldaten, der marschieren will, „immer bereit, still zu verbluten im feldgrauen Kleid“. Bevor ihnen der rechte Barde Frank Rennecke nachher „Lieder für Familie, Volk und Vaterland“ vorsingen wird, spricht die Parteiprominenz zu den jungen Nationaldemokraten. Im Café hinterm Bahnhof von Ribnitz-Damgarten zelebriert die NPD von Mecklenburg-Vorpommern am vergangenen Samstag ihr Parteileben. Und der naßgeschwitzte Wirt zapft still Cola, Wasser und Bier.

Als erster darf Ronny Grubert vortreten. Der schmächtige Mann mit Schnauzbart will in Rostock- Lichtenhagen ein Direktmandat für den Landtag holen. Sein Zorn richtet sich gegen die deutsch-vietnamesische Begegnungsstätte, die dort nach dem Pogrom vor sechs Jahren eingerichtet wurde. „Das kostet uns Hunderttausende Mark. Da werden unsere Kandidaten regellos einen Riegel vorschieben.“ Eigentlich hatte er „rigoros“ sagen wollen. Aber der Schnitzer ist schon im Beifall untergegangen. Alle sind der Meinung, daß Ausländer in Deutschland nichts zu suchen haben.

Ernst machen soll Thorsten Kowalski, Fliesenleger, 27 Jahre alt. Die NPD will den hochaufgeschossenen Mann als Spitzenkandidaten in den Schweriner Landtag schicken. Kowalski wirkt nicht unsympathisch mit seinen hellblauen Augen und der von Sommersprossen gesprenkelten schiefen Nase. Der Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern sei in den vergangen Tagen härter und gemeiner geworden, erzählt er. Am Mittwoch vergangener Woche hätten sie in Rostock einen Stand aufgebaut, „bis die Chaoten kamen und einem von uns den Baseballschläger über den Schädel gezogen haben“. Welcher seiner Freunde zu Schaden kam, sagt Kowalski nicht.

„Jetzt wird zurückgeschossen.“ Pause, durchatmen, bis drei zählen. Ganz leicht öffnet Kowalski seine linke Hand, beugt sich vor und schaut seinen kahlrasierten Jüngern in die Augen. „Raus auf die Straße, weg von den Stammtischen, dorthin, wo das Volk ist“, sollen sie gehen, „dort, wo sich das Leiden tagtäglich abspielt, was wir beseitigen wollen“. Kowalski in weißem Hemd und schwarzer Jeans schreit nicht, er redet beherrscht. Gerade noch klingt seine Stimme ein wenig leidend, dann hellt sich seine Miene übergangslos auf: „Daß euch klar wird, daß es nur die NPD sein kann, die eine Zukunft für unser deutsches geliebtes Vaterland gibt.“ Er ist kein Brüllaffe, der seinem Gefolge bierdumpf den Marsch bläst. Kowalski erzählt Geschichten vom gefährlichen, aber schönen Leben inmitten der NPD. Etwa die, wie er einmal mit Kameraden am Lagerfeuer saß und einem DVU-Mitglied das Du anbot. Der Mann sei so perplex gewesen, daß er sogleich in die NPD eingetreten sei. So freundlich und überzeugend kann der Spitzenkandidat Thorsten Kowalski sein. Er sei „einer mit natürlicher Ausstrahlung“, sagt er von sich selbst.

Nachdem Kowalski die Kameraden in Stimmung geredet hat, kommt er zu den „Inhalten“. Ein Meter einundneunzig straffen sich. „Volksgemeinschaft“, „Kampf des Geistes“, „wehrhafte Jugend, so wie unsere Vorfahren“ – die Parolen sprudeln. Redet er sich jetzt in Rage? Gibt Kowalski den Skinheads, was sie hören wollen? Nicht, wenn die Presse im Raum ist. Seine Stimme klingt nach viel weißer Kreide. Später, auf dem Parkplatz, wird er sagen, er habe sich zurückgehalten. Weil sich der Wirt allzu heftige Töne verbeten habe, weil zwei Polizeifahrzeuge vorgefahren seien. Fast entschuldigend wird er hinzufügen, daß er sonst „euphorischer“ rede, auch „anheizender für die Jugend“. Er wird sagen, daß er weiß, daß die angereisten Kameradschaften härtere Töne hören wollten: „Ich bin doch einer wie sie. Ein Kind der Straße.“

Die in der Kneipe haben die zurückhaltenden Worte schon verstanden und klatschen.

Am Tresen lehnt Udo Voigt, der Bundesvorsitzende der NDP. Kowalski sei ein guter Spitzenkandidat, sagt er, der bringe der NPD am 27. September viele Erstwählerstimmen. Voigt selbst kann hier an der Ostseeküste mit seiner Rede keinen Stich machen. Eine Dreiviertelstunde lang präsentiert er den „werten Freunden“ grob geschnizte Horrovisionen der Globalisierung. Rechnet Lohnkosten in Deutschland gegen die in Tschechien und Hongkong auf, spricht davon, daß „Deutschland in Zukunft von der Regierung ausradiert“ werden soll, weil „Multikulti die Gesellschaft zerstört“ – und kann doch niemanden mitreißen. Stocksteif steht der ehemalige Bundeswehroffizier vor seiner Truppe, den Kopf eingezogen, die Hände auf dem Rücken. Gedankenverloren bläst eine junge Frau ihren Kaugummi zu Blasen auf. Der Obernationale aus dem Westen trifft nicht den Ton.

Aber er hat die Partei finanziell im Griff. Rund eine Viertelmillion Mark läßt sich die Stuttgarter Parteileitung den Landtags- und Bundestagswahlkampf im Nordosten der Republik kosten, wo von den rund 300 eingeschriebenen Mitgliedern nicht viel Geld zu erwarten ist. Die Zentrale hat für Mecklenburg-Vorpommern ein „Sozialprogramm“ aufgelegt. Sozialhilfeempfänger zahlen sechs Mark Mitgliedsbeitrag, die Landesverbände Hamburg und Niedersachsen springen mit Ausgleichszahlungen bei. Eine Geschäftsstelle gibt es im Land, neun Anlaufstellen und ein „nationales Infotelephon“. Die 18 Landtagskandidaten sollen stets erreichbar sein. Stuttgart zahlt einen Telefonkostenzuschuß, stellt Autos, läßt Plakate und Hauswurfsendungen drucken. Zu größeren Veranstaltungen werden Busse für die Claqueure gemietet.

Die NPD will den Einzug in den Landtag schaffen. Sieben bis neun Prozent der Stimmen rechnet sie sich aus. Im Gegensatz zu Gerhard Frey und dessen DVU können die NPDler aber nicht zu einer Materialschlacht rüsten. Im Parteiorgan Deutsche Stimme fordern sie Parteimitglieder aus der ganzen Republik auf, in mecklenburgischen Dörfern Flugblätter zu verteilen, „besonders wichtig sind die letzten drei Wochen vor der Wahl“.

Die Partei hat es auf die Jugend abgesehen, die politisch heimatlos durchs Leben schwimmt. Skinhead René ist zwar nicht Mitglied der NPD, fühlt sich als Angehöriger des „Kameradschaftsbundes Rügen-Berlin“ der Partei aber nahe. In einem Satz faßt er zusammen, was ihn für die NPD einnimmt: „Ich bin deutsch und national.“ Er weiß, daß in Mecklenburg noch nicht einmal 1,4 Prozent Menschen ohne deutschen Paß leben, „aber sie verüben 12,5 Prozent aller Straftaten“. So könne das nicht weitergehen, ebensowenig wie mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Auch René hofft, daß Thorsten Kowalski ihm sagt, wo es langgeht im Leben.

Der weiß zumindest, wie man sich mit wenig Geld durchschlägt. In seinem Arbeitsvertrag als Fliesenleger steht ein Stundenlohn von 22 Mark. Vor drei Jahren habe er noch 24,70 Mark bekommen. Wegen der angeblichen Billigkonkurrenz aus Polen habe der Chef zudem den Akkord hochgesetzt. Am Monatsende blieben ihm zwischen 1.300 und 1.700 Mark netto. Seine Wohnung koste 1.000 Mark, die Freundin verdiene als Auszubildende bei einer Krankenkasse auch nicht viel. „Deswegen müssen wir weg von der Ellenbogengesellschaft, hin zu einer Volksgemeinschaft“, sagt Kowalski und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Der hochrutschende Hemdsärmel läßt seine Tätowierung sehen: Gesichter, wolkigen Fresken gleich, Runen. Das Tattoo soll ihn an „die vorbildliche Schlacht zwischen Goten und Hunnen erinnern“. 900 Mark hat das Werk gekostet, „so etwas werde ich mir nie mehr leisten können“.

Die Anfänge deutscher Geschichte, ein schöngefärbter Nationalsozialismus und die heile Welt der DDR verschmelzen in Kowalskis Weltbild. Er war siebzehn, als die DDR abgeschafft wurde. Das System gab ihm, was er heute vermißt: Stallwärme, Gleichheit, Sicherheit. In der NPD kann er die Werte seiner Kindheit auf rechts kehren. „Heute darf man nicht fragen: Wie kann ich den besten Lebensstandard erreichen?, sondern: Wie besinne ich mich auf meine Vorväter? Dahin wollen wir den Bürger zurückführen.“

Daß seine Partei den Altnazi Manfred Roeder, 68, zum Direktkandidaten für den Bundestag gekürt hat, stört Kowalski nicht. Roeder wurde 1982 wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Zwei Jahre zuvor hatte seine Gruppe einen Brandanschlag auf ein Ausländerwohnheim in Hamburg verübt, bei dem zwei Menschen verbrannten. Beschämen solche Kameraden Kowalski eigentlich nicht? „Ich kenne Roeder als Menschen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er so etwas Dummes gemacht hat.“ Und Roeders 13jährige Haftstrafe? „Gut“, räumt er ein, es möge ja sein, daß er dessen terroristisches Vorleben verdränge: „Aber ich bin grundsätzlich der Meinung, daß deutsche Gerichte die Gesetze zuklappen, wenn einer von uns da steht.“ Der Jungnationalist flüchtet sich in die Märtyrer-Ecke.

Am 19. September, wenn die NPD in Rostock-Lichtenhagen ihre große Kundgebung abhält, wird Thorsten Kowalski in der ersten Reihe marschieren. Hat er damals, vor sechs Jahren, gejubelt über die gewaltsame Vertreibung der Asylbewerber aus dem Rostocker Hochhaus-Stadtteil? „Ich war zwiespältig. Im Endeffekt habe ich es aber verurteilt.“

Das mag man glauben. Schließlich will der mecklenburgische NDP-Spitzenkandidat Thorsten Kowalski die haßerfüllten Parolen, die der Mob vor sechs Jahren in Rostock-Lichtenhagen brüllte, demnächst mit freundlicher Stimme im Schweriner Landtag vortragen.