Der Kombilohn: eine Glaubensfrage

■ Heute präsentiert die Bundesregierung ihr Modell zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen. Wer eine niedrig entlohnte Stelle annimmt, soll vom Staat einen Zuschuß zum Lohn erhalten. Kritiker bezweifeln, daß Niedriglöhne den Arbeitsmarkt in Schwung bringen.

Die Kritiker gähnen. Die Diskussion um den Kombilohn sei doch schon 1997 ergebnislos im Sande verlaufen. Und auch bei der derzeitigen Diskussion um die staatliche Lohnsubvention komme doch nichts Neues heraus. Sollte man also erst gar nicht anfangen, darüber zu diskutieren? Heute wird die Bundesregierung ein „Eckpunktepapier“ zum Thema präsentieren, welches der taz in einer Fassung vom 14. Juli vorliegt.

Unter der Federführung von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) will sich die Regierung den 1,5 Millionen Beziehern von Arbeitslosenhilfe widmen. Wer eine niedrig entlohnte Stelle annimmt, soll eine Transferleistung zusätzlich zum Lohn erhalten. Der Langzeitarbeitslose käme durch diesen Kombilohn auf mindestens 73 Prozent seines früheren Nettogehalts; für Arbeitnehmer mit mindestens einem Kind ist ein Höchstsatz von 77 Prozent geplant. Mit dieser Regelung wird der Arbeitnehmer um 20 Prozent bessergestellt, als wenn er nur Arbeitslosenhilfe bezöge. Heute liegt die Arbeitslosenhilfe bei 53 beziehungsweise 57 Prozent des letzten Nettogehalts.

Durch das Modell sollen neue versicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden. Der Staat beteiligt sich an den Arbeitskosten, das Lohngefüge selbst soll unangetastet bleiben. Es soll ein neuer Niedriglohnsektor geschaffen werden. Zuschüsse erhalten nicht die Arbeitgeber, der Staat soll dem künftigen Billigjobber direkt unter die Arme greifen. Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) soll die Lohnzuschüsse aus ihren Töpfen zahlen. Das Zubrot wird auf zwei Jahre begrenzt gewährt.

Der Kombilohn ist als Motivationshilfe gedacht, denn wer nimmt schon einen mies bezahlten Job an, aus dem sich ein Einkommen erzielen läßt, das unterhalb dessen liegt, was man vom Arbeitsamt erhalten kann? Auf die Freiwilligkeit der Betroffenen scheint sich die Regierung nicht verlassen zu wollen. Durch die Subvention, so das Papier, sollen Jobs „zumutbar werden, die ohne Transferleistung nicht in Betracht kämen“. Auch die Koalition betrachtet ihr eigenes Konzept mit gewisser Skepsis: Das erforderliche Kombilohn-Gesetz soll eine Laufzeit von nur vier Jahren haben.

Gewerkschafter reagieren gereizt. Der Kombilohn sei eine „Scheinlösung“, sagt Margret Möhne-Raane, Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen. Gerade im Niedriglohnbereich würden gegenwärtig reguläre Vollzeit-Stellen in Teilzeitjobs und 620-Mark-Plätze umgewandelt. Eine ungelernte Kraft komme im Einzelhandel noch nicht einmal auf einen Brutto-Monatslohn von 2.000 Mark, und das liege doch bereits im Niedriglohnsektor. In Kaufhäusern und Lebensmittelmärkten würden Stellen in großer Zahl abgebaut. In den letzten vier Jahren gingen 176.000 Vollzeitjobs verloren.

Daß durch den Kombilohn ganze Belegschaften umgeschichtet werden, fürchtet Reinhard Bispinck. „Wer kontrolliert, daß Unternehmen nicht einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgliedern und dafür Leute mit Kombilohn einstellen?“ fragt der Leiter des Tarifarchivs des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsinstituts WSI. Zweifel an der Größe des Reservoirs an niedrig entlohnter Arbeit äußert die Industrie. Infolge der Technisierung sind Tausende von niedrig qualifizierten Jobs bereits weggefallen. Die unteren Lohngruppen sind heute vielfach schon nicht mehr besetzt.

Daß es trotz der Kritik kaum bessere Vorschläge gegen die Langzeitarbeitslosigkeit gibt, meint auch das Institut für Arbeitsmarktforschung der Bundesanstalt für Arbeit. Niedriglohnstrategien seien im exportorientierten Teil der Wirtschaft allerdings „nicht zu rechtfertigen“, sagen die Forscher. Aber in Privathaushalten könnten Niedriglohnbereiche entstehen, da dort „ein breites Spektrum von qualifizierten und weniger qualifizierten Tätigkeiten“ anfalle. Sollen Langzeitarbeitslose demnächst Teller abwaschen und die Kinder von Gutverdienenden hüten? Diese Frage muß Norbert Blüm heute beantworten.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte 1997 fest, daß spezielle Niedriglöhne keine neuen Jobs bringen. Subventionierte Löhne könnten allenfalls kurzfristige Effekte haben, führten aber „weiterhin zu instabilen Berufsaussichten der Betroffenen“ – vor allem bei Frauen – und zu wachsender Armut unter den Erwerbstätigen. Die OECD kritisiert, daß Ungelernte nur sehr wenig Ausbildung und Training im Job erhielten. Hier sei eine Förderung notwendig und sinnvoll.

ABM, Eingliederungszuschüsse, Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose, Strukturanpassungsmaßnahmen – die Liste der Hilfsmaßnahmen, mit der die Ämter der Arbeitslosigkeit trotzen, ist lang. Im ersten Halbjahr 1998 wurden 417.000 Menschen gefördert, Kostenpunkt: 5,22 Milliarden Mark.

Gegen die Arbeitslosigkeit werden die Kombilöhne auch nicht viel ausrichten können. Das meint selbst Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, einer der größten Verfechter des Modells. Der Kombilohn sei eine „Nischenlösung“, kein „Patentrezept“. Wie groß das Interesse der Privatunternehmer an den Zuschüssen ist, läßt sich nicht absehen. Zudem riskieren die Arbeitsämter einen erheblichen Mitnahmeeffekt. Firmen, die ohnehin neue Mitarbeiter eingestellt hätten, dürften sich die qualifiziertesten Arbeitslosen heraussuchen, samt Subvention. An einen positiven Beschäftigungseffekt glauben auch die Experten der BA nicht. Ein Mitarbeiter vergleicht den Kombilohn gar mit einem Wahlversprechen: „Entweder man glaubt daran oder nicht.“ Annette Rogalla