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Die bewegte Schallplatte

■ Hits! Hits! Hits! „Smokey Joe's Café“ macht sich nicht die Mühe einer Erzählung

„Wir schrieben keine Songs“, pflegen die Mitsechziger Jerry Leiber und Mike Stoller zu sagen, „wir schrieben Rekorde.“ Klingt großkotzig, ist aber untertrieben. Musikgeschichte haben sie geschrieben. Allerdings jenen Teil, den kaum einer liest: Ihre Namen tauchen immer nur in Klammern auf. Hinter den Songtiteln, die fett gedruckt sind . Und weit hinter den Namen der Interpreten, die in den Fünfzigern jeder Teeny kannte, vor denen die Frauen ohnmächtig wurden – alles dank Jerry und Mike, von denen kein Schwein außerhalb der Musikbranche gehört hatte. Das ist das Los von Produzenten und Songschreibern, die nicht selbst zum Mikro greifen, aber für Jerry und Mike sollte sich das immerhin 40 Jahre später ändern. 1994 feierte Smokey Joe's Café in Chicago Uraufführung, ein Musical, das nichts anderes vorstellt, als „The Songs of Leiber and Stoller“. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Spot auf der Bühne geht an, das Publikum sieht die obligatorische Projektion eines Armaturenbretts – hallo, wir sind in Amerika und schreiben die fünziger Jahre –, dann betritt das neunköpfige, vornehmlich schwarze Ensemble die Bühne und singt „Neighbourhood“. Applaus. Zwei Darsteller singen „Young Blood“. Applaus, Kristin Lewis singt „Falling“. So geht das weiter. „On Broadway“ ist natürlich auch dabei. Es ist in etwa so, als würde eine Greatest-Hits-CD Live-Animationen auf dem Display zeigen. Ein Medley-Marathon von „Jailhouse Rock“ über „Kansas City“, „Fools Fall in Love“, „Hound Dog“ bis „Spanish Harlem“ wird quasi als Die bewegte Schallplatte präsentiert. Auf eine Geschichte, so verraten die Produzenten des Musicals, könne bei einer derartigen Fülle von Hits verzichtet werden. Auf die Choreographie, möchte man nach den ersten vier tänzerischen Gimmick-Illustrationen der Songtexte meinen, auch.

Nun verhält es sich aber so: Die SängerInnen, allen voran Kathleen Murphy Jackson, sind großartig. Und der unvermeidbare Weichspüleffekt, den Musicalorchester jedem Song aufdrücken, hält sich in Grenzen. Und einnehmend sind die Darsteller auch, und selbst Witz bringen sie in die Performance. Je länger der Abend dauert, desto mehr Spaß macht die Sache. Genau genommen haben nämlich die wenigsten CD-Player einen Live-Display, und selbst wenn sie einen hätten: So charmant wie Neil Taffe und Gayla Freelon sich einen Stuhl teilen, um sich gegenseitig „You're the Boss“ zu attestieren, könnte da nichts passieren.

Christiane Kühl

bis 29. August, Thalia Theater

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