Haus ohne Fundament

■ Muttersprachlicher Unterricht: Türkischer Elternbund und GEW fordern mehr Lehrkräfte / Schulbehörde blockt Von Kerstin Meier und Christoph Ruf

„Die Muttersprache ist ein Menschenrecht“, zitiert Christa Goetsch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fast trotzig aus der UN-Menschenrechtskonvention von 1948. Kein Wunder, schließlich forciert die LehrerInnengewerkschaft seit 1986 die Debatte um eine Aufwertung des muttersprachlichen Unterrichts. „Beraubt man Menschen ihrer Muttersprache, so wäre das, als ob man ein Haus ohne tragendes Fundament bauen würde“, argumentiert die GEW – und fordert Neueinstellungen von LehrerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache.

Bislang ohne großen Erfolg. Zwar sind sich alle in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien einig, daß „dem Erlernen der Muttersprache für die weitere Entwicklung der Kinder eine große Bedeutung“ zukomme, wie es der SPD-Abgeordnete Hakki Keskin formulierte. Seine Parteifreundin, Schulsenatorin Rosemarie Raab, ließ jedoch vergangene Woche vor der Schulbehörde protestierende Mütter des Türkischen Elternbundes wissen, daß Neueinstellungen fremdsprachiger PädagogInnen ausgeschlossen sind. Allenfalls an „Umstrukturierungen innerhalb der Kollegien“ sei zu denken.

Dabei werden vor Ort durchweg positive Erfahrungen mit dem muttersprachlichen Unterricht gemacht. „Die Kinder lernen zum Beispiel, auf türkisch und deutsch die Tierwelt zu beschreiben“, veranschaulicht Nihal Haytaoglu, einzige Türkischlehrerin an der Theodor-Haubach-Schule in Altona, was „zweisprachige Alphabetisierung“ bedeutet. Dort ist der Türkischunterricht gleichberechtigt mit anderen Fächern fester Bestandteil des Vormittags-Stundenplans. Eine Maßnahme, die sich bezahlt gemacht hat: „Anfangs haben viele Schüler darüber geklagt, daß sie sich sowohl in der deutschen als auch in der türkischen Kultur fremd fühlen.“ Oft wären sie zwischen zwei Welten hin- und hergerissen: eine zu Hause bei ihren Eltern, die andere bei ihren FreundInnen oder in der Schule. „Nur Kinder, die ihre eigene Sprache gut sprechen, lernen auch eine andere besser“, betont Nihal Haytaoglu. So hätten ihre türkischen SchülerInnen inzwischen wieder mehr Spaß am Deutschunterricht.

Um so bedauerlicher, daß derzeit viele Stunden ausfallen müssen: „Alleine schaffe ich das alles nicht mehr.“ Die Schulbehörde verweigere jedoch bisher, eine zweite Lehrerin einzustellen, entrüstet sich auch Gülsen Demirörs vom Türkischen Elternbund: „Frau Raab stellt sich stur. Sie hält es nicht mal für nötig, unsere Schreiben zu beantworten.“

An den meisten anderen Hamburger Schulen ist die Situation noch unbefriedigender: In der Regel wird muttersprachlicher Unterricht für Freiwillige am Nachmittag angeboten. Die Lehrkräfte arbeiten auf Honorarbasis, sind im Gegensatz zu ihren verbeamteten KollegInnen leicht kündbar und bekommen weder Krankheitsausfall noch Urlaub bezahlt. Das sei „Kulturrassismus“, wie er auch in anderen Bereichen der Hamburger MigrantInnenpolitik allzuoft zutage trete, empört sich Christa Goetsch. Auch der GAL-Bildungsexperte Kurt Edler kritisiert die Hamburger Bildungspolitik: „Anstatt nach dem Gießkannenprinzip zu verfahren und alle Schulen einer idiotischen Gleichbehandlung zu unterziehen“, solle der Senat lieber „zukunftsweisende Konzepte finanziell fördern.“ Darüber hinaus fordert die GEW, den „muttersprachlichen Unterricht von der Vorschule bis zum Abitur“ anzubieten.

Bis dahin muß sich die Gewerkschaft mit kleinen Fortschritten zufrieden geben, wie die im August vergangenen Jahres vorgenommene Einstellung von insgesamt fünf afghanischen Honorarkräften. Nötig sei indes eine „gänzlich andere Sicht der EinwanderInnen“, sagt Christa Goetsch, die „die Bereitschaft, von fremden Kulturen lernen zu wollen“ vermißt. Wünschenswert sei beispielsweise, daß auch deutschen SchülerInnen die Möglichkeit gegeben wird, Türkisch zu lernen: „Doch davon sind wir noch Milliarden Lichtjahre entfernt.“