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Mit fetten Fischen zum Superhirn

Omega-3-Fettsäuren sind der Hit unter den Nahrungsmittelergänzungsstoffen. Kapseln und gar Brot mit der Fischölfettsäure werden angeboten. Sie macht klug und schützt vor Infarkt, verspricht die Werbung – völlig übertrieben. Tatsächlich aber könnte reichlich Fischnahrung die sprunghafte Evolution des Menschengehirns ausgelöst haben  ■ Von Marcus Franken

Nicht nur in Brot, Ölkapseln und Pillen, auch in der Geschichte der Menschheit mischen die Omega- 3-Fettsäuren neuerdings kräftig mit. Der Londoner Ernährungswissenschaftler und Gehirnforscher Michael A. Crawford glaubt, daß erst mit dem Fisch als Hauptnahrungsquelle der Mensch sein überdurchschnittliches Gehirn aufbauen konnte. Das Öl, das reich an ungesättigten Fettsäuren wie den Omega-3-Fettsäuren ist, habe als Gehirnnahrung gedient und es erlaubt, komplizierte Werkzeuge zu fertigen, in Gruppen zu jagen und eine eigene Kultur und Sprache zu entwickeln.

Nach dieser Theorie müssen die Vorfahren des Menschen eine besonders fischversessene Spezies in Afrika gewesen sein. Unser Gehirn, das sich vor zwei Millionen Jahren entwickelt hat, ist zu sechzig Prozent aus verschiedenen Fetten aufgebaut, die in einem spezifischen Verhältnis zueinander stehen. Voraussetzung für einen plötzlichen Zuwachs des Gehirns ist darum laut Crawford eine Nahrungsquelle, die ausreichend viele hochkonzentrierte Fette in der richtigen Zusammensetzung zur Verfügung stellt. Und genau bei den Fischen ist er fündig geworden: Besonders Kaltwasserfische und Schalentiere wie Muscheln und Schnecken verfügen über hohe Konzentrationen der gesuchten langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren.

Das Grundgerüst dieser Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren bilden Kohlenstoffatome, bei denen einige Kerne durch Doppelbindungen miteinander verbunden sind. Sie spielen eine wichtige Rolle beim Aufbau von Zellmembranen und sind dadurch mitverantwortlich für die Informationsverarbeitung. Da der Anteil der ungesättigten Fettsäuren bei Fischen ähnlich hoch wie im menschlichen Gehirn ist, könnten üppige Fischmahlzeiten das plötzliche Wachstum unseres Denkorgans ermöglicht haben.

Mit diesem Wissen beleuchtete Crawford die Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens neu. Heute nimmt man an, daß die Vorfahren des modernen Menschen in Ostafrika – in den heutigen Staaten Uganda, Tansania und Kenia – gelebt haben. Im dort gelegenen Riff Valley begannen unsere Vorfahren, sich zunehmend von Fischen aus den großen Kaltwasserseen zu ernähren. Mit seinen vielen großen und besonders tiefen Süßwasserseen gilt das Riff Valley als eine in seiner Zeit einzigartige Landschaft. Daraus leitet Crawford die Hypothese ab: „Nur diese einmalige geologische und ökologische Situation konnte eine Ernährung mit hohem Fischanteil sicherstellen, welche die menschliche Entwicklung vor zwei Millionen Jahren vorangetrieben hat.“ Vor hunderttausend bis zweihunderttausend Jahren habe diese günstige Gemengelage schließlich den Homo sapiens hervorgebracht, der sich vom Riff Valley aus über die ganze Welt verbreitet habe.

Crawford sieht in seiner Theorie den fehlenden Baustein, der zur Erklärung der menschlichen Evolution notwendig ist. Andere Erklärungsansätze allein seien nicht ausreichend, um die „einmalige Intelligenz“ des Menschen zu erklären: Wenn es nur auf den aufrechten Gang, die Ausbildung einer Sprache, die Anpassung an die harten Bedingungen einer trockenen Umwelt oder kulturelle Entwicklungen wie das allmähliche Zusammenleben in Gruppen ankäme, dann „hätte ja jede andere Rasse eine solche Intelligenz entwickeln können“, wehrt Crawford entsprechende Theorien ab.

Seine Überlegungen sieht er auch in den Ergebnissen von Kollegen bestätigt, die sich mit der Ernährung von Kleinkindern beschäftigen. Wenn diese Kinder zu wenige Omega-3-Fettsäuren bekommen, dann schränkt das ihre Gehirnfunktionen und ihre Sehfähigkeit ein. Das gilt jedoch für diese Fettsäuren ebenso wie für eine Unterversorgung mit Vitaminen oder Aminosäuren. Damit ist also nur gesichert, daß ein vollständiger Mangel an ungesättigten Fettsäuren schädlich ist.

Doch welche Auswirkungen verschieden hohe Dosen oberhalb einer notwendigen Grundversorgung haben, ist unbekannt. Der Humanbiologe Gerard Hornstra von der Limburg Universität in den Niederlanden gesteht ein, daß über den Zusammenhang zwischen der Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren und der Entwicklung von Kleinkindern wenig bekannt ist. Auch gesicherte Erkenntnisse über einen möglichen Zusammenhang zwischen Fettsäurepegel und Geburtsgewicht von Kindern gibt es noch nicht. Und reine Spekulation sind bisher Zusammenhänge zwischen Fettsäurespiegel und Intelligenz des Kindes.

Antworten auf diese Fragen erwartet Hornstra erst aus den Langzeitstudien, die an seinem Institut laufen und für die er noch Teilnehmerinnen sucht. Doch diese Studien werden frühestens in zehn Jahren abgeschlossen sein. Einen Grund für schwangere Frauen, ihre Ernährung nun besonders auf Omega-3-Fettsäuren zu konzentrieren, sieht er jedoch nicht. Denn: „Die zusätzlichen Fettsäuren, die eine Mutter für ihr Kind braucht, nimmt sie nicht während der Schwangerschaft auf, sondern setzt sie aus eigenen Reserven frei.“ Nach dem ersten Kind gehe der Fettsäurepegel zwar zunächst leicht zurück, steige dann aber wieder. Die Potenz von Omega-3-Fettsäuren muß also noch geklärt werden. Wer bis dahin allen Unsicherheiten vorbeugen will, sollte regelmäßig Fisch essen. Ob es hilft, ist nicht klar. Aber es schadet auch nicht.

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