Tschechen und Deutsche: der Neuanfang

In zwei Sammelbänden üben sich Ossis und Wessis in der Kunst des Dialogs mit den Tschechen. Bei den Ossis auf Schloß Bellevue ging es eher nostalgisch zu, bei den Wessis in Iglau eher pragmatisch-politisch  ■ Von Mareile Ahrndt

Immer wieder versucht die Sudetendeutsche Landsmannschaft, assistiert von bayerischen Politikern, das Thema „deutsch-tschechische Beziehungen“ an sich zu reißen, so als sei niemand anderer dafür autorisiert. Einige dieser „anderen“, die sich für die tschechisch-deutsch Verständigung einsetzen, sind jetzt mit zwei Sammelbänden an die Öffentlichkeit getreten: In ersten Fall handelt es sich um ostdeutsche Bürgerrechtler, im zweiten um Teilnehmer des Jahressymposiums in Jihlava/Iglau.

„Warum merkte kaum jemand aus der ehemaligen Bürgerrechtsszene der DDR, wie die Angst vor den deutschen und die antideutsche Stimmung in den tschechischen Wohnstuben zunahm, weil sich die Optik der tschechischen Medien fast nur noch auf den sudetendeutsch-tschechischen Konflikt konzentrierte?“ wirft Doris Liebermann als Herausgeberin von „Dissidenten, Präsidenten und Gemüsehändler. Tschechische und ostdeutsche Dissidenten 1968–1998“ sich und den ihren mehr vor, als daß sie es fragt. Eine Antwort kann man denn auch nur indirekt aus dem Buch herauslesen, das Diskussionsbeiträge von einem Treffen in Schloß Bellevue im November 1997 sowie einige Erinnerungstexte und Interviews enthält. Es war kein informelles Treffen: Bundespräsident Roman Herzog hatte es initiiert, der tschechische Staatspräsident Václav Havel nahm teil. Fazit: Der persönliche Kontakt, die gegenseitige Anregung – sie hatten nur bis zum Mauerfall bestanden.

In seinem Beitrag bündelt der Musiker Mikoláš Chadima, was die Deutschen für ihn waren. Während der Kindheit, als er Soldat spielte und es Streit gab, wer der Deutsche sein mußte. In der Schulzeit während der antideutschen Indoktrinierung, aber auch während der Besuche bei einem deutschstämmigen Freund der Familie, der mit dem sonst vermittelten Bild nicht übereinstimmen wollte. 1968 kam, und für Chadima verbreiterte sich der Blick auf Ost- und Westdeutschland. Er entdeckte, daß die politischen Reden gegen die Sudetendeutschen Propaganda waren. Zweifel befielen ihn, als er hörte, daß auch deutsche Sozialdemokraten und deutschsprechende Juden vertrieben worden waren. Obwohl viele Sudetendeutsche Schuld auf sich geladen hätten – für Chadima stand in den siebziger Jahren während der erneuten Unterdrückung das Verbindende im Vordergrund: „Damals wurde mir klar, wie unsinnig es ist, wenn zwischen dem einen Volk und einem Teil des anderen Haß (von tschechischer Seite) besteht, der in der Vergangenheit wurzelt, obwohl sich beide doch in derselben Scheiße befinden.“ Als 1989 in Prag die deutsche Botschaft von Ostdeutschen überflutet war, sei das nach Chadima auch für die Tschechen der Anlaß gewesen, zu rebellieren.

Das ist das tschechisch-deutsche Geflecht, von dem auch die anderen Beiträge erzählen. Natürlich spielen im Gespräch der Bürgerrechtler 1968 und die Folgen die größte Rolle. Anna Šabatová, Mitglied der Charta 77, spricht die mangelnde Strafverfolgung von ehemaligen Richtern an, der sie zwiespältig gegenübersteht. Sie kommt zu dem Schluß: „Für mich ist wichtig, daß ich in gutem Zustand überlebt habe.“ Ähnlich zu denken, ähnlich zu fühlen – auch die, die das transportierten, kommen zu Wort, wie der Liedermacher Jaroslav Hutka und der Pfarrer Alfréd Kocáb. Die Erinnerungen verbinden, aber ob sie genügen, einen neuen Dialog zu beginnen? Zumal bei den deutschen Autoren hat man das Gefühl, daß sie noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen sind.

Was sich in Schloß Bellevue erst wieder entspinnen mußte, fand im tschechischen Jihlava bereits zum sechsten Mal statt: der Gedankenaustausch. Der Band zum Symposium titelt mit „Deutsche und Tschechen. Zeit nach der Erklärung.“ Da geht es viel um die Zukunft, an der jetzt, nach der (im Anhang des Buches abgedruckten) deutsch-tschechischen Deklaration, gebastelt werden kann. Die Veranstalter, die Bernard-Bolzano-Stiftung und die Ackermann- Gemeinde, sind beide bekannt für konstruktive Töne im binationalen Dialog. Die vorherigen Dokumentationen waren dennoch hitziger als die neuerschienenen – was daran liegen mag, daß die, die den Worten Taten folgen lassen möchten, mit nüchternen Konzepten aufwarten. Für Walter Piverka von der Landesversammlung der in Tschechien lebenden deutschen Minderheit erfüllt – anders als für die Vertriebenen – die deutsch- tschechische Erklärung wichtige Kriterien, auf denen man aufbauen kann. Für Peter Becher vom Adalbert-Stifter-Verein sollte der gegründete Fonds Mittel für Begegnungen von Künstlern, für Stipendien und Literaturübersetzungen zur Verfügung stellen. Antonín Měštán, Professor in Prag und Freiburg, wird konkret, indem er die Finanzierung des überfälligen neuen deutsch-tschechischen Wörterbuchs vorschlägt. Über die Erklärung selbst gibt es konträre Äußerungen: Der deutsche Botschafter in Prag, Anton Roßbach, sieht viele Mängel, Jaroslav Šabata, bisher Vorsitzender der Bernard-Bolzano-Stiftung, verlangt hingegen eine großzügigere, nicht auf tschechisch-sudetendeutsche Belange verengte Sicht und betont, die Erklärung sei vorbildhaft für viele Regionen und „der letzte Baustein der deutschen Ostpolitik“.

Daß diese Erklärung ferne Politik ist und die Diskussionen um sie längst ergraute Streitigkeiten, in dieser Meinung überschneiden sich die beiden Sammelbände – mehrere Tschechen schreiben, daß sie auf die deutsch-tschechische Erklärung hätten verzichten können. Für sie funktionierte die Zusammenarbeit ohnedies.

Deutscherseits liegen Welten zwischen den Büchern. Aus Ostdeutschland war niemand in Jihlava. Es ist wohl so, daß das Verhältnis zur Tschechischen Republik mit dem Untergang der DDR westdeutsch wurde. Jedenfalls beschäftigten sich die westdeutschen Gruppen nach 1989 weiter damit. Am lautesten leider die Sudetendeutschen. Auf ihrem jüngsten Pfingsttreffen haben sie gerade wieder bewiesen, daß sie auch jetzt, nach Unterzeichnung der deutsch-tschechischen Erklärung, keine neue Zeit anbrechen lassen wollen. Ansätze sind da, ihnen das Thema aus der Hand zu nehmen.

Doris Liebermann, Jürgen Fuchs, Vlasta Wallat (Hg.): „Dissidenten, Präsidenten und Gemüsehändler. Tschechische und ostdeutsche Dissidenten 1968–1988“. Essen, Klartext 1998, 295 Seiten, 34,50 DM

Bernard-Bolzano-Stiftung/Ackermann-Gemeinde (Hg.): „Deutsche und Tschechen. Zeit nach der Erklärung/Češi a Němci. Doba podeklaračni“. Prag, Prago Media 1998, 239 Seiten, 24,80 DM

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