El Salvadors Ex-Guerilla will regieren

■ Die FMLN ist in zwei Flügel gespalten. Am Wochenende gelang es dem Parteitag nicht, einen Präsidentschaftskandidaten zu benennen

San Salvador (taz) – Ein Streit war absehbar. Die Delegierten des Parteitags der „Nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti“ (FMLN) wurden, um Schlimmeres zu verhindern, am Eingang des Versammlungslokals aufgefordert, ihre Waffen abzugeben. Sie sollten am Samstag ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 1999 bestimmen. Doch ein Kandidat wurde nicht gekürt, es blieb bei ein paar Rangeleien zwischen den sogenannten „Orthodoxen“ und den angeblichen „Erneuerern“. Die Abstimmung zwischen der ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten Victoria Marina de Aviles und dem Hauptstadtbürgermeister Hector Silva endete unentschieden. Ein zweiter Wahlgang soll in vierzehn Tagen stattfinden.

Der Wahlversuch der ehemaligen Guerilla war weit mehr als ein protokollarischer Akt. Zum einen werden Präsidentschaftskandidaten in El Salvador gemeinhin von der Parteiführung bestimmt. Die FMLN wollte am Samstag erstmals ein Beispiel für Basisdemokratie geben. Zum zweiten hat die Linke im kommenden März reale Chancen, an die Regierung zu kommen. Die jüngsten Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der rechten Arena-Partei hin. Und zum dritten war bei diesem Parteitag eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Flügeln der Partei unumgänglich.

Die Erneuerer haben Silva ins Rennen geschickt, die Orthodoxen Aviles. An Kandidat und Kandidatin jedoch lassen sich die Unterschiede zwischen den Strömungen kaum festmachen. Silva ist als Redner ein begnadeter Populist und vermeidet es tunlichst, die Worte „Genossen“ und „Revolution“ in den Mund zu nehmen. Aviles dagegen wirkt eher spröde und läßt sich in ihre abgelesenen Redetexte viele „Genossen“ und „Revolutionen“ hineinredigieren. Beides sind eher Reverenzen an die jeweilige Klientel.

Auch in der Tagespolitik ist kein Unterschied zwischen Erneuerern und Orthodoxen zu erkennen. Der Streit ist ideologischer Natur. Und er ist das Ergebnis persönlichen Machtstrebens. Die Erneuerergruppe um Facundo Guardado geht davon aus, daß in El Salvador auf absehbare Zeit nicht gegen das Handels- und Finanzkapital regiert werden kann. Weil sie aber unbedingt regieren wollen, versuchen sie, sich gut Freund mit den Reichen zu machen, und verzichten auf eine sozialistische Perspektive. Die Orthodoxen um Schafik Handal dagegen bleiben beim Parteiziel Sozialismus, was sich freilich nur in Positionspapieren und revolutionärer Rhetorik niederschlägt.

Gut sechs Jahre nach dem Bürgerkrieg hat die FMLN zwar ihre Parteistatuten demokratischen Standards angepaßt. Das Parteileben aber basiert noch immer auf dem Caudillo-Prinzip nach Guerilla-Art. Die Führungsfiguren beider Strömungen scharen ihre Anhänger um sich und schwören sie auf ihre jeweilige Linie ein. „Früher haben wir uns bei Meinungsverschiedenheiten gegenseitig umgebracht“, erklärt Eduardo Linares, einst Guerilla-Comandante und heute Polizeichef von San Salvador, den Fortschritt.

Die Schlacht an der Wahlurne endete unentschieden. Aviles bekam 441 Stimmen, Silva 431. Um gewählt zu werden, verlangt das Parteistatut 518 Stimmen, die absolute Mehrheit unter den 1.034 Delegierten. Weil aber rund hundert nicht zum Parteitag gekommen waren und ein paar Stimmen ungültig abgegeben wurden, erreichte keiner das Ziel.

Trotzdem wollte die Parteiführung unbedingt ein Ergebnis sehen. Schließlich hatte man für Sonntag vormittag bereits ein großes Fest organisiert. Fast fünf Stunden lang wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt. Die Orthodoxen wollten, daß Silva seine Kandidatur zurückzieht. Doch die Erneuerer blieben standfest. Beim zweiten Wahlgang in vierzehn Tagen genügt eine einfache Mehrheit. Toni Keppeler