Neue Srebrenica-Debatte in den Niederlanden

■ Schwere Vorwürfe gegen Blauhelme zwingen Verteidigungsminister zum Handeln. In dieser Woche entscheidet das Parlament über Voruntersuchungen zum Einsatz in der UN-Schutzzone

Berlin (taz) – Am 21. Juli 1995 wurde in den Niederlanden gefeiert. „Unsere Männer verdienen einen Heldenempfang, und den sollen sie auch bekommen“, hatte es der damalige Verteidigungsminister Joris Voorhoeve angeordnet. Live wurde im Fernsehen der Empfang der niederländischen Blauhelmtruppe („Dutchbat“) aus der gefallenen muslimischen Enklave Srebrenica im sicheren Zagreb übertragen. Zur Feier des Tages hatte Minister Voorhoeve hohen Besuch mitgebracht: Premier Wim Kok und Kronprinz Willem Alexander. Eine niederländische Militärkapelle spielte, und auch Bier fehlte nicht.

Der Kater dieser Heldenparty hält immer noch an und wird vielen im Königreich der Oranier die Feierstimmung noch auf Jahre hinaus vergällen. Denn während die Blauhelme sich aus Erleichterung und um zu vergessen vollaufen ließen, betranken sich die Eroberer von Srebrenica mit Slivovic, um so besser ihre schmutzige Arbeit verrichten zu können. Über 8.000 Männer aus der sogenannten UNO-Schutzzone kamen nach der Kapitulation der Blauhelme ums Leben, die meisten bei Massenerschießungen durch die Schergen des bosnisch- serbischen Generals Ratko Mladić. Srebrenica steht für das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Natürlich war jeglicher Versuch vergeblich, das Debakel der niederländischen Friedensmission unter Verschluß zu halten. Trotz anfänglicher Maulkorbbefehle für die Soldaten, Anhörung der Offiziere durch den Verteidigungsausschuß hinter verschlossenen Türen, internen Untersuchungen des Verteidigungsministeriums und Versetzung des Befehlshabers in die USA versiegte der Strom an enthüllenden Publikationen fortan nicht mehr.

Doch jetzt, so scheint es, kommen die Dinge wirklich ins Rollen, nachdem vor zwei Wochen bei der Neubildung der Regierungsmannschaft (aus denselben Parteien) mit F. de Grave ein neuer Verteidigungsminister ernannt wurde. „Die Aufarbeitung des internationalen Dramas ,Srebrenica‘ wurde durch den Vorgänger von de Grave konsequent falsch gehandhabt. Vor allem, weil er als Hauptverantwortlicher nicht zurückgetreten ist, um die Aufarbeitung anderen zu überlassen“, schreibt jetzt Marcel van Dam, Mitglied des inneren Führungskreises der Sozialdemokratischen Partei des neuen und alten Premiers Wim Kok, in De Volkskrant und schließt sich damit dem stetig wachsenden Ruf nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß an.

Die erste Amtshandlung des neuen Verteidigungsministers, der wie sein Vorgänger aus der konservativ-liberalen VVD stammt, war denn auch, eine neue Untersuchung durch einen „unabhängigen“ Gutachter über die Ereignisse in Srebrenica in Auftrag zu geben. Bis dahin soll das Parlament sich zurückhalten. Nach den vielen Pannen der vorherigen Untersuchungen ist das Vertrauen in Ermittlungen des Ministeriums sehr gering. So wurden Fotos von Erschießungen beim Entwickeln vernichtet, und das Verteidigungsministerium hat Aussagen von Soldaten, wonach die Blauhelme auf ihrer Flucht vor den Serben bosnische Verteidiger und Zivilisten mit Panzerfahrzeugen überfahren haben, zurückgehalten.

Als erste vertrauensbildende Maßnahme hat Minister de Grave jetzt belastende Aussagen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Diese Woche entscheidet das Parlament darüber, ob eine parlamentarische Voruntersuchung eingeleitet werden soll, die parallel zu anderen Ermittlungen auch zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß führen kann. Fraglich ist, ob das Resultat befriedigend sein wird. Als der damalige Außenminister Hans van Mierlo 1996 gefragt wurde, ob nicht eine internationale Untersuchung wünschenswert wäre, hat er – wohl wahrheitsgemäß – geantwortet, daß weder die UN noch der Sicherheitsrat motiviert sein dürften, die ganze Wahrheit über Srebrenica ans Licht zu bringen. Andrea Goldberg