What's hot, what's not
: Der dünne Mann

■ Das repressive Moment der Zerbrechlichkeit – hin- und hergewendet am zarten Ralph Fiennes: Geschmack in und um Hollywood herum

In „Oscar und Lucinda“ von Gillian Armstrong gibt es zum Ende hin eine Szene von überwältigender Schwermut. Ralph Fiennes, der den frommen Spieler Oscar Hopkins gibt, sitzt auf einem einsamen Holzstuhl in einer ansonsten gänzlich leeren gläsernen Kirche. Abendlicht – oder ist es schon Morgenlicht? – fließt um die eisernen Streben, die das Glas eher umfangen denn rahmen. Ralph Fiennes schwebt in diesem durchsichtigen Licht wie eine katholische Erscheinung: ätherisch, flammend rothaarig, stumm und schmerzensreich. – Schmerzensreich, denn die Glaskirche überbringt Oscar als Geschenk an den Liebsten der Frau, die Oscar doch selbst heimlich liebt. Die Kirche schwimmt auf einem Floß, das am Flußufer vertäut wurde. Langsam und außerhalb jeder Zeit bewegt sich die stille Ebene, verschieben sich Fluß und Floß gegeneinander: Die Kirche neigt sich dem Fluß zu. All das wortlose Wasser drückt gegen die einzige Tür der Kirche, Dachglas zersplittert mit feinem Knistern, und dann wird der ertrinkende Oscar vom Tod aufgenommen wie ein heimkehrendes Kind. Als ob er von einer Welt in eine andere hinüberfließt. Dieses Ertrinken ist der Sieg der Zerbrechlichkeit über die Zumutungen eines zu großen Gefühls.

Puh. Ist Zartheit nicht wahrlich dominant? Man denke an David und Goliath! Leser, ich benötige Ihre Hilfe: Wer ist Ralph Fiennes? Ein rasend schöner Mann? Ein Monster wie in „Schindlers Liste“, ein future cop à la „Strange Days“, ein betrügerischer WASP wie in „Quiz Show“? Ist dieser Mann ein großer Liebender wie „Der englische Patient“, ein Astheniker wie Oscar? Oder ist er ein aus zwei Augen bläuender britischer Spezialermittler mit graphischem Humor wie in „The Avengers“? Letzteres ein Warner- Film, der nichts Arges bezweckenden Filmkritikern vorab nicht gezeigt wird, damit sie ihn gar nicht erst schlecht finden können. (Nun, ich bin extra weit gereist, um meinen Ralph ohne Verzug auch in diesem Film anbeten zu können.) Vor allem aber: Wo ist Ralph Fiennes zu finden? Wo kann ich ihn treffen, um ein Pflaster über seine linke Augenbraue zu heften, ganz zart, mit potentiell zum Verlieben ermuntern sollenden, anmutigen Bewegungen? Während ich diese Fragen auf Sie, Leser, zubewege, summt draußen im Gang ein feines Weltraumkosmonautensignal, etwa so wie das leise Pfeifen eines kindlichen Windes im Kamin. Wissen Sie, warum? Nun, ich weile in Cape Canaveral.

Was würde ich Ralph Fiennes wohl sagen, wenn ich ihm begegnete? Wahrscheinlich doch etwas so Bedeutendes wie „Uuuh“ oder auch „Ooh“ plus Kulleraugen! Leser, aufgewacht! Lassen Sie sich nicht auf den Wellen meiner ausgezeichneten Küchenlyrik davontragen. Ich bin mir, nur kurz angemerkt, nämlich gar nicht sicher, ob es mir so gut gefallen würde, einen Mann wie Ralph Fiennes in Wolldecken zu wickeln und ihm ein Glas warme Milch mit Honig zu verabreichen. Will man das als Mädchen wirklich? Bei aller Zerbrechlichkeit, aller Delikatesse der Knochen und feingehäkelten Züge – durchschauen wir es nicht, das repressive Moment in Ralph Fiennes' Zerbrechlichkeit? Ist es nicht wie mit der DDR – außen scheinbar nicht so kräftig (marode Häuser, stinkende Fabriken), aber der Klammergriff hatte einen dann doch? Lach, lieber Mr. Fiennes: Darauf fällt unsereins ja doch immer wieder rein. Seufz. Anke Westphal