Herbergen für saufende Handwerker

Seit 150 Jahren nimmt sich das Diakonische Werk der Gebeutelten an  ■ Von Christine Holch

St. Georg Anfang des letzten Jahrhunderts: herumlungernde Kinder, die von ihren Eltern zum Betteln, Lumpensammeln, Knochenausgraben, Stehlen und zur Prostitution angehalten werden. Das kann der junge Sonntagsschullehrer Johann Hinrich Wichern nicht mitansehen. Gerade mal 24jährig, gründet er 1833 mit den Zuschüssen reicher Hamburger eine Art betreute Wohngemeinschaft, das „Rauhe Haus“ in Horn, und zieht dort gleich selbst mit ein. Revolutionärer Unterschied zu den klassischen Armenhäusern: Es gibt keine Gitter.

Wichern ließ sich nicht nur leicht anrühren, er konnte auch gut reden – so schnell übrigens, daß die Protokollanten seine wütende Stegreifrede auf dem Wittenberger Kirchentag im September 1848, wo er die Kirche zu sozialem Handeln aufrief, nur unvollständig mitschreiben konnten. Überliefert ist hingegen, wie Wichern 1848 den reichen Hamburgern die Leviten las: „Habt ihr nicht lange genug euren kleinen privaten Frieden mit Gott gemacht? Habt ihr nicht gesehen, wie sich eure Arbeiter mit ihren Weibern und Kindern in Löchern drängen?“

Die Bürger waren beeindruckt. Und so startete vor 150 Jahren die Hamburger Stadtmission, Vorläuferin des Diakonischen Werks Hamburg. Heute und morgen wird Geburtstag gefeiert. Junge Handwerksburschen, die auf der Suche nach Arbeit herumzogen und in billigen Wirtshäusern dem Alkoholismus verfielen, waren eines der ersten Klientel. Für die baute die Diakonie alkoholfreie Herbergen. Heutige Projekte sind zum Beispiel das Café Sperrgebiet für drogenabhängige Prostituierte oder die Rathauspassage mit ihren Arbeitsplätzen für Obdachlose. Dienst am anderen, die Übersetzung von „Diakonie“, hat viele Gesichter.

Das Diakonische Werk Hamburg ist ein Spitzenverband der freien, also nicht-staatlichen Wohlfahrtspflege. Ihm gehören fast 600 selbständige Einrichtungen mit rund 16.000 MitarbeiterInnen an. Darunter 176 Kitas, 42 Alten- und Pflegeheime, zwölf Krankenhäuser, aber auch das Diakonische Frauenhaus, die Hamburger Tafel oder die Telefonseelsorge. Mitglied kann jede Initiative werden, sofern sie sich in ihrer Arbeit auf den christlichen Auftrag bezieht.

Zugriff auf einen großen Geldtopf haben die Einrichtungen damit allerdings nicht. Zuschüsse aus Kirchensteuern gibt es nur für einzelne Projekte. Statt dessen finanzieren sich Krankenhäuser über die Krankenkassen, Altenheime über die Pflegeversicherung, Kitas zu 75 Prozent über die Stadt. Subsidiarität nennt sich das Prinzip: Der Staat und andere öffentliche Kostenträger finanzieren Leistungen, erbringen sie aber nicht selbst.

Ein mühsames Geschäft, das Geldbeschaffen, seufzt Katharina Weyandt, Sprecherin des Diakonischen Werkes Hamburg. Mühsam und mit viel Streiterei verbunden. So gaben lange Zeit weder Sozialbehörde noch Krankenkassen Geld für die medizinische Versorgung im Café Sperrgebiet in St. Georg oder in der Obdachlosen-Tagesstätte in der Bundesstraße. Letzte Rettung waren Spenden. Erfreulich immerhin: Die HamburgerInnen spenden heute zwar weniger für die Diakonie insgesamt, sind aber um so freigebiger, was konkrete Projekte anbelangt.

Jubiläumsprogramm auf dem Rathausmarkt: heute abend ab 18 Uhr großes Fest. Sonntag von 11-18 Uhr „Markt der Diakonie“: zum Beispiel mit Infos über Auswanderung, Freiwilligenarbeit, Pflegeversicherung, freiwilliges soziales Jahr, Kitas. Dazu Kinderprogramm, Musik, Theater, Streetball u.v.m.