Abglanz von schräg oben

Elektronikpionier, Sternenbotschafter, Montagsmaler – und irgendwie auch noch ein Held der Popkultur: Der Komponist Karlheinz Stockhausen wird 70  ■ Von Frieder Reininghaus

Große Geister sind wohl nie gemütlich. Daß Karlheinz Stockhausen zu dieser raren Sorte gehören werde, dämmerte den zu neuen Ufern musikalisch Aufbruchswilligen in Mitteleuropa schon Anfang der fünfziger Jahre, als das „Kreuzspiel“ in Darmstadt Skandal hervorrief. Der 1928 bei Köln geborene Komponist nutzte die Ferienkurse als Plattform für seine sich schärfenden und polarisierenden Musikanschauungen; diese hatten sich nach Krieg und Kapitulation mit dem Studium von Hindemiths und Weberns verfügbaren Arbeiten herausgebildet, wurden durch Karel Goeyvaerts, Olivier Messiaen und die Musique concrète von Pierre Schaeffer in Paris promoviert.

1953 stieg Stockhausen in das neu gegründete Studio für Elektronische Musik des WDR ein – und nahm von ihm Besitz. Daß Köln zwei Jahrzehnte lang zu einem Kristallisationspunkt der Neuen Musik wurde, verdankte sich nicht zuletzt seinem Einsatz. In Theorie und Praxis avancierte er zur markanten Persönlichkeit, entwickelte eine spezifische und weithin faszinierende Form von (öffentlich zur Schau gestelltem) Musikinstinkt und Solipsismus, eine Art Privatreligion (als Sonderbotschafter vom Stern Sirius) und eben Klangsensibilität. Durchaus mit rheinischem Geschäftssinn. Als der mittlerweile von asiatischer Musik inspirierte und fernöstlichen Heilslehren erleuchtete Komponist 1970 auf der Weltausstellung von Osaka ein halbes Jahr lang den deutschen Pavillon in seine Klangwelt verwandeln durfte, war der Durchbruch zum Weltruhm geschafft.

Und er blieb ungemütlich. Im Wissen um Wagners Charisma und Selbstvermarktung als „Schule“ machte sich Stockhausen 1977 an die Arbeit: Seit mehr als zwei Jahrzehnten wächst, jeweils auf einen Wochentag und seine mythologischen Bedeutungen bezogen, das „Licht“-Projekt. Die stammelnden, weithin infantilen Textbrocken Stockhausens erscheinen als bloßes Klangmaterial (und transportieren doch Ideologie), die Regieanweisungen verweisen oft platt auf Fantasy-Sphären („kosmisches Puppentheater“, höhnte der Amsterdamer Komponist Konrad Boehmer, der vom glühenden Stockhausen-Verehrer zu einem seiner entschiedenen Kritiker mutierte). Der inzwischen auf Bergeshöhen bei Kürten angesiedelte Komponist eröffnete in „Licht“ seinem Schutzpatron Michael und den Kämpfen der Lichtgestalt mit den Kräften der Dunkelheit große Klangräume; er feierte im „Montag“ auf fatale Weise Muttertag, im Dienstag den Krieg der Sterne. Die Musik, die dem jungen Stockhausen „immer noch das Ungegenständlichste“ war, hat sich vergegenständlicht.

Heinrich von Kleist erschien die Musik, zumindest in einer auf bestimmte Weise domestizierten und dann wieder freigesetzten Gestalt, als Himmelsmacht. Stockhausen begann, parallel zur ersten Welle der technisch-industriellen Aufrüstung der jungen Bundesrepublik, seine Karriere auf der Schiene der fortschreitenden Rationalisierung und radikalen Durchorganisation der musikalischen Zeit; doch spiegelt sich schon im „Gesang der Jünglinge“, entstanden in der Mitte der Fünfziger, ein Abglanz höherer Gnade. Es ist alles andere als Zufall, daß gerade dieses Stück Musiker wie John Lennon und Paul McCartney erreichte. Damit ließ sich „Abheben“. Auch mit den „Hymnen“, denen eine Idee der Versöhnung von national Gegensätzlichem eingeschrieben wurde: Wegen der Eröffnung von Weltmusik-Perspektiven, musikalischer Globalisierung, mag Stockhausens Konterfei die Ehre zuteil geworden sein, auf dem Cover der Beatles-Platte „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ aufzutauchen – über dem Orchester der Einsamen Herzen, zwischen zwei legendären britischen Komikern.

Stockhausen nahm Kleist beim Wort. Ohne höhere Kraftzufuhr mag heute ein so monströses Werk wie „Licht“ nicht wachsen. Es ist derselbe Geist, in dem der Komponist die vier Herren des Arditti- Streichquartetts von vier Helikoptern der Koninklijen Luchtmacht über die Grachten von Amsterdam befördern ließ, um die ungleichgewichtigen Klangereignisse durch Mikrophone einzufangen und auf die Erde zu übertragen – abgemischt als Live-Event. Diese Kombination von Technikfaszination und Abgehobenem konnte einem wie ein Resümee des Stockhausenschen Wollens erscheinen – diesseitig-jenseitige Himmelsmacht.