Grüße aus Budapest
: Lichter aus, Lichter an!

■ EM-Fazit: Ein Weltstar namens Christine Arron und ein künftiges wunderbares Duell

Im Stadion des Volkes (Nep) ging gestern abend das Licht aus und das versammelte Volk fröhlich nach Hause. Fazit: Schön war's; das war's. Höchste Zeit, sich neuen Abenteuern zuzuwenden. Nur unsereins quälen wieder mal Fragen.

Was bleibt von der Leichtathletik-EM im Gedächtnis? Antwort: Ein gefärbter Kopf, orange leuchtend im Flutlicht, aber durchaus auch von eigener Strahlkraft. Ein Weltstar wird frau, wenn Publikumswirksamkeit von Persönlichkeit und Disziplin zusammenkommen. Nirgends hat sich das besser gefügt als im Falle der französischen Sprinterin Christine Arron, die mit 10,73 sec über 100 m den (bis Redaktionsschluß) einzigen Europarekord in Budapest lief und noch mal Gold gewann und Erlebniswert bot, als sie am Samstag im Staffelrennen an der sechs Meter vor ihr liegenden Irina Priwalowa vorbeiflog.

„Es läßt sich nicht leugnen, daß es der Leichtathletik zur Zeit an großen Stars und charismatischen Figuren mangelt“, sagt nicht nur der Golden- League-Kreator Patrick Magyar von der Vermarktungsagentur ISL. Leichtathletik will im Publikumsinteresse Sportart Nummer drei bleiben, Europa ist der Markt, das wichtigste Segment Deutschland. Aber richtig große, sofort einsetzbare Helden – außer Arron – sind in Budapest nicht hervorgetreten.

Alteingeführte Markennamen sind wieder oder immer noch im Geschäft wie Colin Jackson (110 m Hürden), Heike Drechsler, Maksim Tarasow (Stabhochsprung) oder Irina Priwalowa (200 m), andere haben ihren ersten Titel gewonnen und nun zumindest mal Strahlkraft auf ihrem nationalen Markt. Für viele europäische Athleten in den nordamerikanisch oder afrikanisch dominierten Laufdisziplinen war es sicher angenehm, im Gegensatz zur Golden League mal um Sieg und Medaille laufen zu können und vor allem, dabei wahrgenommen zu werden. Oder überhaupt laufen zu können, wie Helena Fuchsova, Silbermedaillengewinnerin über 400 m, die gern Golden League gelaufen wäre, „aber die Manager wollten mich nicht“. Sportler, die sonst, wie DLV-Präsident Helmut Digel sagte, „kein Identitätserlebnis“ haben, durften wie 400-m-Europameisterin Grit Breuer von der Hymne und davon ausgelösten Gefühlen schwärmen. Erfolgreiche Athletinnen wie die österreichische Bronzemedaillengewinnerin Stephanie Graf können ihr Startgeld (bisher 1.500 Dollar) künftig verdreifachen.

Die erfolgreichsten Verbände waren wie erwartet der DLV, der russische und der britische. Großbritanniens Männer räumten die Sprintdisziplinen ab, deutsche Frauen waren stark in Wurfwettbewerben, wo Tanja Damaske und Franka Dietzsch ihre ersten Goldmedaillen gewannen. Richtig neu und schon mit Medaillen geschmückt sind aber nur der Hürdenläufer Frank Balzer (24), der Silber in persönlicher Bestzeit von 13,12 sec holte, und die Stabhochspringerin Yvonne Buschbaum (18), die Bronze in persönlicher Bestleistung von 4.31 m gewann. Vormals gesperrte und nun resozialisierte Athleten (Breuer, Bagatsch, Gecsek) holten EM-Titel, und neue Dopingfälle wurden in Budapest bisher nicht bekannt, was die Branche zum Lob ihrer Kontrollsysteme nutzt.

Alles wird darin natürlich nicht erfaßt, zum Beispiel ist das im Langstreckenlauf nützliche EPO nicht nachzuweisen. Und Europa so groß, wie die 21,69 m erstaunlich sind, auf die die Ukrainerin Vita Pawlisch die Kugel wuchtete. Die wird man sowieso nicht mehr sehen, aber viele andere auch nicht, wenn es morgen in Lausanne mit teilweise höherklassigem Alltagsgeschäft weitergeht.

Die EM? Für Ungarn war sie „sportpolitisch ein gelungenes Weltsportereignis“ (Digel), Dieter Baumann nannte sie eine „schöne Nische“ – allerdings bevor er über 5.000 m einbrach. Unter kommerziellen und unterhaltenden Aspekten hat die EM der Branche die Chance gebracht, das Interesse der Leute mit der Inszenierung eines neuen, wunderbaren Duells zurückzukriegen. Kommenden Dienstag in Berlin kommt es zum 100-m-Showdown der scheinbar übermächtigen US- Amerikanerin Marion Jones mit Christine Arron. Lichter an! pu