Das Berliner Spiel

■ Nicht jeder spielt mit jedem: Von der Fremd- zur Selbstkontrolle beim illegalen Glücksspiel

In dem Prozeß um den Unterweltkönig Klaus Speer war seinerzeit auch die Pferderennstallbesitzerin J. als Zeugin geladen. Sie hatte einen gefälschten Wechsel über eine höhere Summe über den Rechtsanwalt Horst Mahler bei Speer beglichen, konnte sich aber hernach nicht mehr erinnern weshalb. Die zum Prozeß zugelassene Presse notierte ihre Aussage mit einiger Skepsis. Man hätte ihr aber ruhig Glauben schenken können. Im Rennbahnmilieu kommt es häufiger vor, daß einer des anderen Schuldscheine übernimmt. Gut möglich, daß Frau J. einen ihrer Trainer von einem der vielen Spieltische in der Stadt auslösen mußte.

Das sogenannte Berliner Spiel, in das der vor elf Jahren verstorbene Schriftsteller Jörg Fauser hinreichend eingeführt hat, verfügt seit jeher über einen zweifelhaften Ruf. Das hat nichts damit zu tun, daß es gesetzlich verboten ist. Auch wer illegal spielt, pocht auf seine gerechte Chance. Nichts ist für den Nachtmenschen jedoch schwerer, will er es noch mit ein paar Karten oder dem Würfel probieren, als eine ehrliche Runde zu finden. Der Kitzel besteht denn für die meisten Spieler auch gar nicht im Gewinnen und Verlieren, sondern in der hohen Kunst, sich vor Falschspiel und Betrug zu schützen. Auf den Pferderennbahnen, wo Spiele jeglicher Art neben den erlaubten Wetten zu Hause sind, hat man sich der Gefahr, über den Tisch gezogen zu werden, durch ein durch persönliche Bekanntheit verbürgtes Zulassungssystem entzogen. Hier spielt man nur mit Leuten, die man kennt. Fremde werden zwar nicht gleich des Tisches verwiesen, aber ihr Spiel wird mit gesteigerter Aufmerksamkeit beobachtet.

In der Berliner Spielerszene hat es sich längst herumgesprochen, daß auf der Rennbahn nichts zu holen ist. Eine ähnliche Einschätzung der Lage hat übrigens auch das polizeiliche Glücksspieldezernat, das von den illegalen Glücksspielaktivitäten durchaus Kenntnis hat, sie aber mehr oder weniger duldet, weil diese Form der sozialen Kontrolle auch andere Fälle von Kriminalität weitgehend ausgrenzt. Der Prozeß der Zivilisation, wie ihn Norbert Elias beschrieben hat, gilt auch für das kriminelle und semikriminelle Feld.

Aber es wird gespielt und bisweilen auch um hohe Beträge. Der Kuchenfabrikant Th. soll hier schon einmal ein Rennpferd erworben haben, das später ein Vielfaches der auf dem Spiel stehenden Summe eingetrabt hat. Das ist aber eher die Ausnahme. Nicht umsonst gilt auf der Rennbahn: „Willst du deinem Feind Schaden zufügen, dann schenk ihm ein Rennpferd.“ Als Währung zur Begleichung von Spielschulden werden diese nur in Ausnahmefällen akzeptiert.

Wo „getrudelt“ und „geklammert“ wird, kann es mitunter um hohe Summen gehen, aber manchmal will tagelang kein ordentliches Spiel entstehen. Man wartet immerzu auf sogenannte Lämmchen, willfährige Opfer, fürchtet aber den großen Unbekannten. Also geht es die meiste Zeit zu wie in jeder normalen Kneipe. Aber plötzlich, wie durch ein geheimes Zeichen, türmen sich die Hunderter auf dem Tisch, und das große Spiel beginnt. Bevorzugt werden Spiele mit kurzer Frequenz, bei Einsatzerhöhungen wird nicht lange gefackelt. Doppelt oder nichts heißt es zu fortgeschrittener Stunde. Äußerst beliebt ist das Kinderspiel Mau-Mau. Unter dem gleichlautenden Stallnamen lief sogar mal ein Hengst namens Opernheld. Seine fünf Besitzer versuchten, die angelaufenen Stallkosten per Spiel auszuhandeln.

Wenn das Spiel heißläuft, kommen auch die Schuldscheine wieder zum Einsatz. Man kann schon mal schnell ein kleines Vermögen gewinnen, aber die Schwierigkeit besteht anschließend darin, das Geld auch tatsächlich zu bekommen. Spielschulden gelten nach wie vor als Ehrenschulden, aber auch unter Spielern hat man inzwischen ein differenziertes System von ausgeklügelten Zahlungszielen und Teilzahlung entwickelt. Das kann viel Verdruß bringen. Weil jeder jeden kennt, spielt nicht jeder mit jedem. Von einem schlechten Zahler zu gewinnen ist für die meisten Spieler noch ärger, als an ihn zu verlieren. Harry Nutt