Prozesse auf der langen Bank

Die Justiz ermittelt inzwischen bundesweit gegen Banken wegen Steuerhinterziehungen in Milliardenhöhe. Doch Anklagen gegen Banker gibt es kaum  ■ Von Werner Rügemer

Anfang Juli sickerte verschämt durch, daß zwischen dem Vorstand der Dresdner Bank und der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ein „konstruktiver Dialog“ im Gange ist: Die Bank will Gerichtsverfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung umgehen. Die Staatsanwaltschaften sollen keine Anklage erheben und die Verfahren einstellen. Bestenfalls, so hofft die Bank, sollen die Ermittlungen mit der Zahlung von Bußgeld und ohne öffentliches Aufsehen beendet werden.

Zur Erinnerung: Im Januar 1994 wurde die Dresdner Bank als erste von den Steuerfahndern durchsucht. Millionen Unterlagen sind nun vier Jahre lang von ein paar Dutzend überlasteter Steuerfahnder ausgewertet worden. Tausende Kunden zahlen inzwischen hinterzogene Steuern in Millionenhöhe nach. Bundesweit wird gegen 50 Banken wegen des Vorwurfs von Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt. Nun wären auch die Banken dran, ohne deren Hilfe die Steuerhinterziehung nicht möglich gewesen wäre.

1997 hatte der leitende Oberstaatsanwalt Karl-Manfred Claßen von der federführenden Staatsanwaltschaft Düsseldorf angekündigt: Im Jahre 1998 werden die ersten Anklagen gegen Banker erhoben. Staatsanwalt Johannes Pütz, Leiter der Düsseldorfer Abteilung für Wirtschaftskriminalität, sprach von „erheblicher krimineller Energie bis hinauf in den Vorstand“. Doch inzwischen wurde keine einzige Anklage erhoben.

Die Staatsanwaltschaft gibt zu dem brisanten Thema keine Erklärungen mehr ab, Sprecher der schweigenden Behörde ist nun Johannes Mocken, der nach eigenem Bekunden von Wirtschaft nichts versteht – sein Gebiet ist Mord und Totschlag. Von der Staatsanwaltschaft Kassel wurde bekannt, daß sie die Anklage gegen zumindest einen Banker fertig hat, doch die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kassel hat die Anklage noch nicht zugelassen.

Was bei einem Gerichtsverfahren herauskommen kann, zeigt drastisch der einzige Fall, der bisher verhandelt wurde. Das Landgericht Koblenz verurteilte im Februar 1996 den Unternehmer Peter Gelhard zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis. Er hatte 6 Millionen Mark Steuern hinterzogen. Der Leiter der Dresdner- Bank-Filiale Koblenz und der Leiter der Auslandsabteilung hatten dazu kräftig Beihilfe geleistet: Sie hatten für Gelhard bei der Filiale in Luxemburg ein Konto unter Tarnnamen eingerichtet; eine Briefkastenfirma in Panama stellte gespaltene Rechnungen aus. So wurden 18 Millionen Mark Schwarzgeld aus Gelhards Firma auf das Luxemburger Konto geleitet. Die beiden Banker wurden wegen Beihilfe verurteilt, die Bank zahlte 700.000 Mark Geldbuße.

Solche Gerichtsverfahren müßten sich wiederholen, denn die Dresdner Bank besteht bekanntlich nicht nur aus einer Filiale in Koblenz, und nach der Dresdner Bank wurden (fast) alle Banken durchsucht, zuletzt die Deutsche Bank. Überall stießen die Fahnder auf die gleichen Methoden: Anonyme Konten, Überweisungen mit Tarnnamen („Mausebär“, „Helmut Kohl“), Transfers über zentrale Verrechnungskonten auf Auslandsfilialen, Einschaltung von Tarnfirmen. Die Bankenwelt verfolgt deshalb mit intensiv verhaltener Spannung: Wie geht der „konstruktive Dialog“ zwischen Dresdner Bank und Staatsanwaltschaft Düsseldorf aus?

Wenn man die bisherigen Ermittlungsergebnisse hochrechnet, kommt man auf eine Größenordnung von 600.000 bis 800.000 Kunden und einen Steuerverlust in zweistelliger Milliardenhöhe. Den vermögenden Privatkunden stellten die Banken für Beträge zwischen einer halben Million und mehreren Millionen Mark die Anonymisierungssysteme zur Verfügung, die in Steueroasen wie Luxemburg und der Schweiz üblich, in klassischen Bankenländern wie Deutschland aber verboten sind. Außer Steuerhinterziehung gab es dafür keinen Grund, schon deshalb, weil diese Praxis 1992 im großen Stile einsetzte, also mit Einführung der 30prozentigen Zinsabschlagssteuer. Verlust für die Staatskasse allein im Jahr 1993: 10 Milliarden Mark.

Die Justiz hat eigentlich nicht den Spielraum, den sich die Dresdner Bank wünscht. Denn die Einstellung eines Strafverfahrens durch Geldbuße hängt nach Paragraph 153a der Strafprozeßordnung davon ab, ob die persönliche Verantwortlichkeit und das Nettoeinkommen des Beschuldigten hoch sind oder nicht. Bei einem weisungsgebundenen Anlageberater eines Kreditinstituts kann die Einstellung des Verfahrens durch Geldbuße angemessen sein, bei weisungsbefugten Bankern ab Filialleiter aufwärts bis zum Vorstand jedoch kaum.

Die spannende Frage im „konstruktiven Dialog“ zwischen Strafverfolgern und Bankern wird sein, ob die Staatsanwaltschaft Düsseldorf dem Druck der Dresdner Bank weicht oder ob sie an einem rechtsstaatlichen Verfahren festhält – und ob sich andere Staatsanwaltschaften wie die in Kassel an dem Düsseldorfer Modell orientieren. Dabei geht es nicht nur um den Rechtsstaat. Es geht auch um die Steuergerechtigkeit. Die Steuerzahler sind ungleich vor dem Gesetz, und die öffentlichen Kassen bluten aus. Die ehrlichen Steuerzahler zahlen über eine hohe Steuerbelastung die Zeche für die Steuer- und Wirtschaftskriminalität.

Die Staatsanwaltschaften und die Finanzämter sind erpreßbar, weil sie von der Politik alleingelassen werden und weil sie personell, juristisch und technisch vielfach noch auf dem Stand der 70er Jahre sind. Damals gab es 1.800 Steuerfahnder, heute 1.600. Die Banken und ihre Klientel setzen auf Zeit und Verschwiegenheit: Ein paar Fälle mit Bußgeld erledigen, ein paar furchtsame Selbstanzeiger abschröpfen, aber die Masse der Steuerhinterzieher durchkommen lassen – und neue Schlupflöcher für die Zukunft öffnen.

Auch eine notwendige Steuerreform ändert von sich aus wenig. Denn die gesetzlichen Steuersätze besagen, zumindest bei den höheren Einkommen und bei den Unternehmen, immer weniger über die tatsächliche Steuerzahlung. Ob der Steuersatz 53 oder 49 oder 38 Prozent beträgt, ist letztlich egal, wenn Großverdiener nur 20 oder 10 Prozent oder gar keine Steuern zahlen. Für mehr Gerechtigkeit und mehr Staatseinnahmen müßten Finanzverwaltung und Wirtschaftsjustiz so ausgestattet werden, daß sie angesichts der Explosion der Finanztechniken und der grauen Gewinne eine gesetzmäßige und gerechte Besteuerung gewährleisten können. In der derzeitigen Lage jedenfalls können die Finanzämter, ganz unabhängig von den Steuersätzen, ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen.