Auch der Vogelfänger lebt mit dem Terror

■ Der WDR zeigt vier mutige Filme aus Algerien: Einmal nicht von hierfür ins Land gereisten Journalisten, sondern von Algeriern selbst. Die konnten so die Zensur umgehen (23.15 Uhr)

„Für die Bonzen gibt's ein Visum, nur den Kielraum für die Armen“, singen die Fans im Fußballstadion von Algier. Hier erlauben sie sich offene Worte, die ansonsten lebensgefährlich wären. „In der Menge ist man sicher“, sagt einer. Neue Fan-Gesänge auf bekannte Melodien zu erfinden, ist für junge Algerier zu einem Ventil geworden für. So entstehen aufsässige, humorvolle und auch traurige Lieder. „Ich will weg aus Afrika, lieber Rom als dieses Land.“ – „Das Fußballstadion wurde zum Resonanzkörper für die Krise“, textete dazu der algerische Journalist Abdelkader Ensaad.

Sein Film „Das Echo im Stadion“ über die kleinen politischen Freiheiten im vielstimmigen Chor der Fans ist Teil eines Schwerpunkts, den der WDR heute unter dem Titel „Das andere Algerien“ zeigt. Es sind vier Filme, die einmal nicht von kurzfristig ins Land gereisten Korrespondenten stammen, sondern von Algeriern selbst. Alle haben die Folgen des Terrors zum Thema, auch dann, wenn in einer Reportage (die den Schwerpunkt um 0.35 abschließt) nur die Arbeit eines Vogelfängers geschildert wird.

Der Abend beginnt mit einem Film von Azzedine Meddour: Er zeigt die Arbeit von Psychologen und Erziehern, die versuchen Kinder wieder zum Sprechen zu bringen, die gesehen haben, wie ihre Eltern umgebracht oder vergewaltigt worden sind. Nach Ensaads Stadion-Film (23.55 Uhr) folgt dann eine Dokumentation über die Eisenbahner zwischen Algier und Oran, wo immer wieder blutige Überfälle stattfinden (0.10 Uhr). Die vier Filme sind mutige Innenansichten. Zumal, wenn man bedenkt, daß derzeit Journalisten kaum irgendwo mehr um ihr Leben fürchten müssen wie in dem nordafrikanischen Land.

Auf der einen Seite die Anschläge der Islamisten, auf der anderen Seite die Willkür der Regierung. Durch die internationale Verwertung der Filme konnte die staatliche Zensur umgangen werden, sagt WDR-Redakteur Dierk- Ludwig Schaaf. Und er hofft darauf, daß sie die Filmemacher auch vor Repressalien schützt. Auf Initiative einer Pariser Produktionsfirma haben sich Fernsehanstalten aus acht Ländern zu diesem Projekt zusammengeschlossen. Finanziert wurde das rund 600.000 Mark „teure“ Projekt zur Hälfte von der Europäischen Union; den Löwenanteil der übrigen Kosten übernahmen der WDR und der britische Channel4 (jeweils rund 70.000 Mark). Die beteiligten Sender wählten fünf Beiträge aus, die über den Umweg des Satellitenfernsehens sogar auch in Algerien zu sehen sein werden. Den fünften Film allerdings strahlt der WDR nicht aus. Aus Zeitgründen, heißt es.

Doch ein so denkwürdiges Fernsehprojekt wie dieses hat längst auch im dritten Programm keine Chance mehr auf einen besseren Sendeplatz. Redakteur Schaaf wehrt ab, ähnliche Dokumentationen liefen bei 3sat und Arte früher – „mit sehr geringen Zahlen“. Seit das schwächelnde WDR-Programm vor einiger Zeit unter die Vorgabe gestellt wurde, mindestens sechs Prozent Marktanteil zu erreichen, steht jede einzelne Sendung unter diesem Druck. Der wird an die Redaktionen weitergereicht. „Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie es wird, wenn man sieben Prozent erreicht hat“, stöhnt Schaaf. Thomas Gehringer