Tote „leiden nicht mehr lebend“

Tierschutzbericht: Zahl der Versuche konstant, Zahl der Tiere gestiegen  ■ Von Christine Holch

Exakt 29.530 Tiere wurden 1996 in Hamburg als Versuchstiere „verwendet“, heißt es nüchtern im „Tierschutzbericht 1995 – 1997“, den die Gesundheitsbehörde jetzt veröffentlicht hat. Mehr als 90 Prozent dieser Versuchstiere waren Nager, also Ratten, Mäuse und Meerschweinchen. Versuche mit Katzen oder Affen gab es keine. Allerdings wurden Versuche mit 43 Hunden sowie 18 Schafen und Ziegen beantragt. Cathleen Crowell vom Referat für Tierschutz begründet das damit, daß in der Toxikologie chemische Stoffe auch an Nicht-Nagern getestet werden müßten.

Die Zahl der Tierversuche lag in den vergangenen Jahren konstant bei etwa 60 pro Jahr, gestiegen ist aber die Zahl der verwendeten Tiere, und zwar um etwa zehn Prozent. Die Behörde hat keine Erklärung dafür. Der Tierschutzbeauftragte des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) erklärt hingegen, daß Mäuse etwa für die Genforschung „besser standardisierbar“ seien als Schafe, man hier allerdings mehr Tiere benötige.

Tierversuche müssen von der Gesundheitsbehörde genehmigt werden. Sie wird dabei unterstützt von der Tierversuchskommission. Von den zwischen 1993 und 1996 beantragten 247 Versuchen lehnte die Kommission neun ab. Die Kommission muß laut Tierschutzgesetz aus zwei Wissenschaftlern bestehen, je einem Vertreter von Tierärzte- und Ärztekammer sowie zwei Vertretern von Tierschutzorganisationen. Der Verein „Bürger gegen Tierversuche“ entsendet laut seiner Vorsitzenden Simone Runde seit über einem Jahr niemanden mehr in die Kommission, ebensowenig der Hamburger Tierschutzverein. „Nach meiner Einschätzung ist die Kommission eine Alibiveranstaltung, in der UKE-Ärzte sich ihre eigenen Versuche genehmigen“, begründet Runde.

Darüber, wer in Hamburg Tierversuche durchführt, schweigt sich die Behörde aus. Nur soviel: Es seien 15 bis 20 staatliche und private Institutionen. Laut Runde ist der größte „Tierverbraucher“ das UKE. Was das UKE erforscht, darüber mag der dortige Tierschutzbeauftragte, der sowohl Facharzt für Tierschutz wie auch für Versuchstierkunde ist, nur vage umschreiben. Im UKE werde vor allem Grundlagenforschung betrieben, etwa der Frage nachgegangen, welche Faktoren zu Arteriosklerose führen. Auch forsche man zu genetisch bedingten Erkrankungen mit Hilfe von genveränderten Tieren.

Parallel dazu werden auch Versuche mit isolierten Organen oder Zellkulturen gemacht. Dafür muß ein Tier zwar auch getötet werden, „aber es leidet nicht mehr lebend“, sagt der UKE-Tierschutzbeauftragte. Mittlerweile werde am UKE etwa die Hälfte der Versuche an totem Tiermaterial vorgenommen. So werden in Hamburg zwar weiterhin Tausende von Tieren für die Forschung getötet, „aber das ist kein Vergleich zur hundertmal höheren Zahl der geschlachteten Tiere“, meint der Tierschutzbeauftragte.

„Tierschutz steht in einem Spannungsfeld, das von Nutzungsinteressen des Menschen und dem Anspruch der Tiere als Mitgeschöpfe auf Leben und Wohlbefinden geprägt ist“, heißt es im Tierschutzbericht. Deshalb gab es heftigen Streit im Vorfeld der Novellierung des Tierschutzgesetzes, das Ende März vom Bundestag verabschiedet wurde. Hamburg hatte in der Diskussion eine Vorreiterrolle, scheiterte aber mit vielen Anträgen. So dürfen Versuchstiere auch weiterhin nach einem schweren operativen Eingriff einem zweiten Versuch „mit unerheblichen Schmerzen“ unterzogen werden.

Aber auch Erfolge kann die Leiterin des Referats Tierschutz, Astrid von der Schulenburg, aufzählen: Hausgeflügel muß zur Tötung mindestens zehn Minuten in eine Kohlendioxidatmosphäre getaucht werden; mit Bußgeld kann jetzt verfolgt werden, wer Schlachttätigkeiten an einem Tier vornimmt, das noch nicht tot ist; und das Töten von Füchsen zur Pelzgewinnung mittels Elektroden an After und Schnauze ist verboten.

Tierinteressen gegen Nutzerinteressen durchzusetzen sei eine „mühselige“ Arbeit, sagt auch Simone Runde, die im Tierschutzbeirat sitzt. Der Beirat berät die Behörde bei der Überwachung der Einhaltung des Tierschutzgesetzes. Da wird zum Beispiel beraten über die „Besatzdichte“ von Meerschweinchen in Zoohandlungen, also über die Menge der Tiere, die ein Händler im Käfig hält. Zirkusse werden kontrolliert, und immer wieder gilt es, die Öffentlichkeit aufzuklären. Erfolg: Die Zahl der Bußgeld- und Strafverfahren gegen Tierhalter und -händler ist in den letzten Jahren gestiegen. Ein Grund sei wohl, so die Behörde, daß die Bevölkerung sensibler reagiere und Verstöße vermehrt anzeige.