Geliehenes Kleingeld und geschenkte Millionen

Bundesregierung und Wirtschaft fordern eine neue Gründerbewegung. Neue High-Tech-Unternehmen dürfen mit staatlicher Unterstützung und sogar mit Risikokapital rechnen. Dienstleister dagegen haben Schwierigkeiten, einen Startkredit zu organisieren  ■ Von Marcus Franken

Berlin (taz) – Die beiden Berliner Jungunternehmer haben es geschafft: Sie wurden ausgezeichnet für Geschäftsidee, Marketing und Finanzierung, haben anderthalb Millionen Mark Förderung in Aussicht und sind mit großen Unternehmen im Gespräch. Dabei besteht ihre Firma Thiedig & Weiss Halbleiter AG bisher nur auf dem Papier, und die Arbeit geht für Christoph Thiedig und Tilmann Weiss jetzt erst richtig los. Die Verfahrenstechniker haben eine neue Technik für die Steuerung von Heizkesseln entwickelt, die auf Erkenntnissen der Solarzellenforschung basiert. Das Element sei nicht nur zehnmal billiger, sondern in der Produktion umweltfreundlicher als die heutigen Verfahren.

Auf dem Weg zum erfolgreichen Geschäft soll ihnen eine gründliche Unternehmensplanung helfen: Sie müssen den Markt erkunden, sich eine Werbestrategie überlegen, sehen, wieviel Geld sie brauchen, von wem sie es bekommen – und vor allem: wie sie es zurückzahlen. Thiedig und Weiss haben sich dabei im Rahmen des Business-Plan-Wettbewerb Berlin/Brandenburg von Praktikern aus der Wirtschaft und Bankern helfen lassen.

„Ohne das hätten wir unsere Gründung vielleicht noch verschoben“, meint Thiedig. Daß sie sich selbständig machen wollten, habe jedoch nie zur Debatte gestanden. Nicht wegen des Geldes, betont Thiedig. Entscheidend sei die Herausforderung. Und Weiss, der sich sonst bei den Berliner Grünen in der Forschungspolitik engagiert, ergänzt: „Ich möchte etwas Sinnvolles tun.“

Das Unterfangen, auf das die beiden sich eingelassen haben, ist riskant. Laut Kreditreform wurden 1997 670.000 Unternehmen neu gegründet, die lediglich 300.000 Arbeitsplätze mit sich brachten: Viele Gründer fangen ohne Angestellte an und stellen erst in den folgenden Jahren ein – wenn sich das Geschäft rentiert. Demgegenüber mußten 590.000 Firmen aus den Handelsregistern gelöscht werden, dadurch gingen rund 554.000 Jobs verloren. Auch wenn andere Institute wie etwa das Institut für Mittelstandsforschung abweichende Basiszahlen (Neugründungen 1997: 531.000) vorlegen, kommen sie im Verhältnis auf ein ähnliches Ergebnis.

Bis zu 30 Prozent der Existenzgründer müssen bereits in den ersten fünf Jahren wieder aufgeben. Wenn der Traum von der eigenen Firma mit hohen Schulden endet, liegt das in der Regel an ungenügender Planung, Unkenntnis des Marktes oder daran, daß die frisch gewonnenen Kunden nicht bezahlen. Als erste und wichtigste Hürde beschreibt die Marktstudie „Wege in die Selbständigkeit“, für die die Münchner Unternehmensberatung Maisberger & Partner rund 600 Selbständige ab dem dritten Jahr befragt hat, „das Startkapital“. Banken scheiden oft als Kreditgeber aus, wenn die Gründer außer ihrer guten Idee nicht auch noch Haus und Grund als Sicherheiten vorweisen können. Bei einer Firma wie die Thiedig & Weiss Halbleiter, bei der vor der Serienreife ihres Produktes noch 1,5 Millionen Mark in Forschung und Entwicklung fließen müssen, können die Investitionsgründerfonds des Bundes mit Zuschüssen und Krediten helfen. Die Jungunternehmer tragen hier vergleichsweise geringe zehn Prozent des Risikos.

Für Firmen in den wachstumsstarken Branchen Gentechnik, Softwareentwicklung und Telekommunikation – die allerdings nicht einmal zehn Prozent der neugegründeten Unternehmen ausmachen – interessieren sich auch professionelle Beteiligungsgesellschaften. Diese sogenannten Risikokapitalgeber stecken Geld in eine Firma und werden dafür Mitinhaber. Die Hoffnung der Kapitalgeber, die Erfahrung in der entsprechenden Branche vorweisen müssen, beschränken sich meist auf einen Industriezweig. Ihr wahrer Wert besteht darin, daß sie dem jungen Unternehmen Kontakte vermitteln. Eine am Dienstag gestartete Initiative des Bundesforschungsministeriums will diesen Trend unterstützen. Das „Business Angels Netzwerk“ soll innovativen Gründern Mentoren, sogenannte Business Angels, vermitteln, die entweder mit Erfahrungen oder gleich mit eigenem Kapital weiterhelfen. Nach einigen Jahren, so das Kalkül der Geldgeber, geht das Unternehmen an die Börse, die Geldgeber können ihren Anteil gewinnbringend verkaufen. Für diese Aussicht nehmen sie es sogar in Kauf, daß auch in den High-Tech-Branchen immer noch 20 Prozent der Existenzgründungen pleite gehen.

Viel schwieriger ist es für Leute, die sich mit einer Dienstleistung oder im sozial-medizinischen Bereich selbständig machen wollen. Und das ist immerhin jeder vierte, nimmt man noch den Handel dazu, beinahe jeder zweite Existenzgründer. Risikokapitalgeber wollen Produkte sehen, die einen technischen Vorsprung garantieren und sich mit viel Gewinn verkaufen lassen. Wenn zu erwarten ist, daß die Neuheit den Markt aufrollen könnte, zögern sie auch nicht, Millionen zu investieren.

Damit können die Dienstleister aber in der Regel nicht aufwarten. Zwar brauchen sie meist nur kleinere Summen, aber dafür sind ihre Ideen in der Regel auch weniger spektakulär. So wie bei Christiane Bornemann und Angela Kubick. Die erste arbeitet in Berlin als Familienhelferin und studiert an der Freien Universität Pädagogik. Ihre Kommilitonin Angela Kubick gibt als gelernte Krankenschwester Babymassagekurse. Sie wollen dem drohenden Problem Arbeitslosigkeit aus dem Weg gehen, das mit 22,6 Prozent nach „Selbstbestimmung und Ideen verwirklichen“ (37,1 Prozent) in der Maisberger- Studie das am zweithäufigsten genannte Motiv der Unternehmensgründer ist. Sie planen in Berlin ein neues Dienstleistungsangebot für Familien. „Entscheidend ist, daß du etwas tust, was für dich sinnstiftend ist“, sagt Bornemann. Öffentlich machen werden sie ihre Pläne noch nicht, denn: „Dann könnte ja jeder die Idee klauen.“

Ende des Jahres wollen sie eine Ladenwohnung in zentraler Lage suchen. Für die Renovierung und die ersten Mieten – rund 30.000 Mark haben sie veranschlagt – sind sie von Bank zu Bank gezogen. Alle verlangten Sicherheiten über die volle Höhe des Kredites. „Banken verleihen Regenschirme“, hat Bornemann dabei gelernt, „und wenn es regnet, wollen sie sie zurück haben.“ Fördergelder zu beantragen sei so aufwendig, daß sie die Arbeit lieber in eine gründliche Vorbereitung investieren wollen als in „einen Haufen Bürokratie mit ungewissem Ausgang“ – mit Eigenkapitalhilfe- und Existenzgründungsdarlehen des Bundes sind 1997 gerade mal 30.000 Firmengründungen mitfinanziert worden. Kubick und Bornemann sparen das Geld jetzt selbst zusammen. Sie haben ausgerechnet, daß sie so selbst das „Worst-case-Szenario“ schuldenfrei überstehen.