Verteilungsfrage neu gestellt

Finanzhaushalte sind keineswegs von Natur aus geschlechtsneutral, sagen Ökonominnen. Zum Beweis schlüsseln sie Staatsbudgets nach Interessen auf  ■ Von Christa Wichterich

Bonn (taz) – Staatshaushalte, Finanzpläne und Steuerpolitik sind Objekte, die vergleichsweise wenig intellektuelle Erotik ausstrahlen. Trotzdem beschäftigen sich Frauen zunehmend mit den Budgets, Bilanzen und Defiziten ihrer Staaten. In verschiedenen Ländern testen sie zur Zeit sogenannte Frauenbudgets als politisches Instrument, mit dem sie verstärkt in die Debatte um Wirtschafts- und Finanzpolitik eingreifen wollen.

Dabei geht es vor allem um ein Aufschlüsseln staatlicher Einnahme- und Ausgabenpolitik: Wer wird durch Kredite und Programme gefördert, wessen Interessen bevorzugt, wer durch Steuern und Abgaben benachteiligt? „Wir Frauen“, so die kanadische Ökonomin Isabella Bakker, „richten uns in einer Sprache an die Regierung, die die versteht.“ Nur so könne der Nimbus der Geschlechtsneutralität, den Budgets und Geld in der Regel verbreiten, demontiert werden.

Hochaktuell ist derzeit ein ge- schlechtsspezifisches Durchleuchten der Steuerreformen, zu denen die Globalisierung ein Land nach dem anderen nötigt. Überall werden jetzt niedrige Einkommen – und die sind oft Frauensache – höher besteuert, während Kapital und Vermögen – oft immer noch Männersache – steuerlich entlastet werden. Aufschlußreich ist auch, wie die Staaten ihren Sozialabbau betreiben. Meist sind Frauen als unbezahlte Stoßdämpfer sozialer Not in den Haushalten und den Gemeinden einkalkuliert, wenn der Staat sich aus sozialen Aufgaben zurückzieht.

Pionierland beim frauenpolitischen Abklopfen des nationalen Haushalts ist Australien. In der Zeit der Labour-Regierung zwischen 1984 und 1996 legten Behörden sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene Frauenbudgets vor, die nachweisen sollten, wie einzelne Etatposten und Maßnahmen auf Mädchen und Frauen wirken. Analysiert wurde, welche geschlechtsspezifischen Implikationen sich in den Gesundheits-, Steuer- und Handelshaushalten verstecken und ob dort Nachteile für Frauen entstehen.

Es müssen nicht immer die Behörden selber sein, die die Frauenbudgets erarbeiten. In Kanada sind Ökonominnen um Bakker am Werk, die ein alternatives Bundesbudget ergänzen wollen, das eine Koalition linker und kirchlicher Gruppen vorgelegt hat. Sie weisen der Regierung nach, daß Sozial- und Frauenprogramme die Staatsverschuldung nicht verursachen und deshalb auch kein Grund besteht, sie zu kürzen. Ihre Motivation: Neben dem öffentlichen und dem privaten Sektor soll durchgehend die unbezahlte Versorgungswirtschaft in Haushalt und Kommunen sichtbar gemacht werden. Knifflig ist die Frage, wie sich der Wert dieser Arbeit beziffern und in die Berechnung des Bruttosozialprodukts miteinbeziehen läßt. Läßt sich beispielsweise an den Kosten von Programmen zur Sozialisation verwahrloster Jugendlicher in den USA abschätzen, welchen Wert unbezahlte Erziehungsarbeit von Müttern hat?

In Südafrika forderte 1994 ein ANC-Frauenkongreß, daß ein parlamentarischer Ausschuß gemeinsam mit Vertreterinnen einer nichtstaatlichen Organisation ein Frauenbudget erstellt. Denn so kurz nach dem Ende der Apartheid waren die Weichenstellungen wichtig: Wie kommen Frauen bei der Landreform weg? Wer findet einen Job im öffentlichen Sektor und wer nicht? Fließt im Bildungsbudget ein großer Teil in die Tertiärbildung, bedeutet dies Männerförderung, denn in Südafrika studieren mehr Männer als Frauen. Mohau Pheko von der Women‘s National Coalition nennt drei Funktionen des Frauenbudgets: das Bewußtsein der Behörden über die Auswirkungen ihrer Maßnahmen auf die Lebensumstände von Frauen, vor allem von armen Landfrauen, zu schärfen, zur ökonomischen Alphabetisierung von Frauen beizutragen und sie über die mangelhaften Gleichstellungsanstrengungen der Regierung aufzuklären und Ansatzpunkte zu liefern, um Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie mehr Frauenförderung betreibt.

Wo auch immer Frauenbudgets erstellt wurden, hat das heftige öffentliche Diskussionen ausgelöst und so dazu beigetragen, die Verteilungsfrage zu entmystifizieren und Finanzberechnungen und -planungen zu demokratisieren.

Bakker will aber mehr, als daß Frauen sich mit Zahlen und Statistiken beschäftigen. „Frauen brauchen eine andere politische Vision für die Finanzpolitik.“ Die Ziele ökonomischen Handelns müßten komplett neu definiert werden: Geschlechtergerechtigkeit müsse als Richtwert die Staatshaushalte mitbestimmen, unbezahlte Arbeit aufgewertet, Leistung, Wohlstand und Sicherheit in anderen Kategorien als dem Dollarzeichen bemessen werden.