Menschenrechtler gegen Boykott von Ölkonzernen

■ Erstmals sitzen Oppositionelle und Vertreter von Ölkonzernen auf einer Erdölförderkonferenz zusammen. Konzerne engagieren sich langsam für die Menschen

Stavanger (taz) – Die wahren Kämpfer für die Rechte unterdrückter Menschen sind die westlichen Ölmultis. Dies stand fest, nachdem Repräsentanten von den multinationalen Erdölkonzernen Shell, Statoil, British Petroleum (BP) und Total auf einer – laut Veranstaltern der ersten überhaupt – öffentlichen Diskussion zwischen Ölmultis und Vertretern von Oppositionellengruppen verschiedener Länder am Dienstag abend in Stavanger ihre Statements abgegeben hatten. Am Rande einer internationalen Ölmesse in der westnorwegischen Stadt Stavanger, welche die wichtigste Basis für die norwegische Ölindustrie in der Nordsee ist, hatte man sich zum Thema „Ölwirtschaft und Menschenrechte“ getroffen.

Die Selbstbeweihräucherung der Ölmultis erwies sich zwar als fehl am Platze, nachdem Oppositionelle aus Ost-Timor, Nigeria und Birma ihre Sicht der Dinge klarlegen durften. Deutlich wurde aber, daß es eine eindeutige Aufforderung an die westliche Ölwirtschaft, diktatorische Regime zu boykottieren, nicht mehr gibt. Ihre Anwesenheit wird auch von gegen diese Regime kämpfenden Oppositionellen nicht durchweg negativ eingeschätzt.

„Die Ölgesellschaften haben begonnen, ihre Verantwortung für die Menschenrechtssituation in den Ländern, in denen die aktiv sind, anzuerkennen“, lautete die optimistische Einschätzung von Helge Ole Bergensen vom Osloer Nansen-Institut für Außenpolitik. Bergensen arbeitet gerade an einem Projekt, das die möglichen Zusammenhänge zwischen Ölexploration und Menschenrechtsentwicklung in ausgewählten Ländern untersucht. „Kaum ein Unternehmen wird noch zu argumentieren wagen, daß Politik Politik und Wirtschaft Wirtschaft ist.“

Vor allem nord- und westeuropäische Ölgesellschaften würden nun deutlich ihre Verantwortung anerkennen – die US-Konzerne hinkten dagegen noch weit hinterher. Am deutlichsten sei die „Revolution“ bei Shell gewesen, das mit „Brent Spar“ und Nigeria gleich doppelt vom Umwelt- und Menschenrechtsgesichtspunkt her mit Boykottaufrufen konfrontiert war. „Druck von außen und offenbar auch ein Prozeß innerhalb der Gesellschaft haben zusammengewirkt“, sagt Bergensen.

Musterknaben, was einen möglichen Druck auf fremde Diktatoren oder auch nur eine Einhaltung der grundlegenden gewerkschaftlichen Rechte ihrer dortigen einheimischen Beschäftigten angeht, seien die Ölmultis zwar noch lange nicht, doch eine Haltungsänderung sei geschehen. Das sei auch daran ersichtlich, daß auf einer Ölmesse erstmals Platz für amnesty international und andere Menschenrechtsorganisationen sei und ihnen Zeit gegeben wurde, ihre Ansichten vorzutragen. Auch wenn es nicht leicht war, unter den 1.200 ausstellenden Firmen, für die die sinkenden Ölpreise viel wichtiger schienen als eine Debatte um Menschenrechte, Aufmerksamkeit zu erregen: Erstmals fand überhaupt eine solche Konfrontation statt.

Oppositionsführer Anthony Enahoro aus Nigeria erkannte einen gewissen Lernprozeß bei Shell an, forderte aber, daß Umwelt und Menschenrechte viel höher auf der Prioritätenliste der weltweit tätigen Ölunternehmen stehen müßten. In einem Meeresgebiet zwischen Ost-Timor und Australien plant die norwegische Statoil bald mit der Ausbeutung von Gasvorkommen zu beginnen, was der in Stavanger anwesende Außenminister der Exilregierung von Ost-Timor und Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta heftig kritisierte. „Das Volk von Ost-Timor sieht keinen Pfennig von den Ölgeldern, alles fließt in die indonesische Staatskasse.“ Aber grundsätzlich verurteilte er die Ölsuche nicht: Statoil habe erste Zeichen gegeben, daß man auch die Befreiungsbewegung unterstützen wolle. Die besteht in der Finanzierung von Stipendien für sechs Studenten für Studienaufenthalte in Norwegen.

Die birmesische Opposition, repräsentiert von einem Vertrauten Aung San Suu Kyis, behielt ihre bisherige radikale Haltung bei: „Es gibt nur eine Sprache, die das Regime in Birma versteht“, argumentierte Suu Kyi mit knisternder Stimme aus einem mitgebrachten Video: „einen umfassenden Boykott durch den Westen.“ Sie appellierte daher, daß nicht nur der französische Erdölkonzern Total seine Aktivitäten im Lande einstellen, sondern sich alle westlichen Investoren aus Birma zurückziehen sollten. Reinhard Wolff