: „Bessere Politik für Deutschland“
■ Schäuble in Bremerhaven: Ob er nicht doch bald Kanzler werden will, verrät er nicht
Eine Frage wird nicht gestellt. Aber sie scheint sie die Menschen, die am Mittwochabend in die Bremerhavener Stadthalle strömen, zu beschäftigen. „Ich will ihn unbedingt sehen, vielleicht wird er ja doch mal Kanzler“, flüstert eine ältere Frau ihrem Begleiter auf der Rolltreppe zu. „Im Rollstuhl?“ erwidert der Mann schroff. „Selbst seine Frau hat ja gesagt, daß er das nicht schafft“, fügt er fast entschuldigend hinzu als er sich umsieht und die pikierten Blicke bemerkt.
„Neuer Aufschwung, neue Arbeit!“ prangt in großen Lettern auf dem Wahlplakat der CDU hinter dem Podium. Der Platz von Wolfgang Schäuble ist noch frei. Im Saal sind alle Stühle besetzt. Die Zuspätgekommenen stehen dicht gedrängt an der Fensterfront, hinter den Stuhlreihen und auf dem Gang an der Wand zu den Toiletten. Offenbar ist der gesamte Stadtverband gekommen. 1.060 Mitglieder hat die CDU in Bremerhaven. Mehr als 1.000 Besucher zählt auch die Polizei. Unwillkürlich fällt der Blick auf das Schild mit dem Rollstuhl, das gut sichtbar über der Behinderten-Toilette hängt.
Umringt von Sicherheitsleuten, die sich durch ihr Knöpfchen im Ohr verraten, rollt Schäuble aufs Podium. Doch bevor der mit dem goldenen Mikrophon als „Redner des Jahres 1991“ ausgezeichnete Politiker das Wort ergreift, spricht CDU-Landeschef Bernd Neumann. Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hat am Morgen im Frühstücksfernsehen erklärt, daß er sich auch in Bonn eine Große Koalition vorstellen könnte. „Das sind ja liebe, nette Kerle hier“, spöttelt Neumann über die Bremer SPD. Aber in Bonn wolle die CDU natürlich allein regieren. Auch Schäuble hält nichts von einer Großen Koalition. „Es ist klar, daß wir die bewährte Koalition fortsetzen“, sagt er. Kohl regiere seit 16 Jahren erfolgreich. SPD-Kanzlerkandidat Schröder sei dagegen als Ministerpräsident von Niedersachsen „alles andere als erfolgreich“ gewesen. Der „gut gefönte“ Politiker sei ohnehin eher ein Medienstar. „Ich bin gern bereit, Herrn Schröder mehr Auftritte bei RTL zu verschaffen, wenn er dafür in der Politik nicht mehr soviel Blödsinn macht“, scherzt Schäuble. „Rot/Grün ist nicht gut für die Zukunft unseres Landes, weil sie Innovationen verhindern“, weiß Schäuble. Technischer Fortschritt und ein gutes Bildungssystem schafft und sichert Arbeitsplätze, lautet seine Formel. Warum polnische Spargelstecher im Gegensatz zu deutschen weniger über Kreuzschmerzen klagen würden, fragt Schäuble und beantwortet die rhetorische Frage im nächsten Satz. Polnische Arbeiter seien halt anspruchsloser. Auch Nordsee-Krabben müßten den Weg über Polen nehmen, weil sich deutsche Arbeitnehmer oft zu fein fühlten, die Schalentiere auszupuhlen, klagt der Politiker.
Gemessen an der Brisanz des Themas für die Stadt Bremerhaven ist der Applaus für Schäuble eher verhalten. Allein im Juli haben sich in der Seestadt 2.311 Männer und Frauen arbeitslos gemeldet. Mit einer Arbeitslosenquote von 21 Prozent liegt Bremerhaven an der Spitze aller westdeutschen Städte. Doch Schäubles Rede ist lang und ermüdend. Vereinzelt verlassen die Zuhörer den Saal. Erst der Politiker auf die innere Sicherheit zu sprechen kommt, wird es lebhafter in der Stadthalle. „Wenn ein Anhänger des Islams nicht möchte, daß seine Frau und seine Töchter mit der westlichen Welt in Berühung kommt, dann würde ich ihm sagen, Deutschland ist der falsche Platz dafür“, ruft Schäuble. Tosender Applaus. Integration sei „keine Einbahnstraße“, mahnt er weiter. „Der Zuzug muß so eng wie möglich begrenzt werden. Zuviel macht die Integration wahnsinning schwierig.“ Auch die doppelte Staatsbürgerschaft sei nichts weiter als „ein Programm zur Förderung von Ausländerfeindlichkeit“. In Amerika sei es schließlich auch selbstverständlich, daß neue Staatsbürger ihre alte Nationalität aufgeben müßten.
Nach den Ausländern, kommt Schäuble auf die Polizei zu sprechen. Es könne nicht angehen, daß die Bürger „mehr Symphatie für Verbrecher“ hegten als „für die Polizei“. Die Menge jubelt. Er hätte ja nun Erfahrung mit dem Rollstuhlfahren, spielt Schäuble zum Schluß seiner Rede vorsichtig auf seine Behinderung an. „Mit der CDU geht es aufwärts – anstrengender zwar, aber lohnend“, verspricht Schäuble und bedankt sich bei der Polizei.
Nach der Rede versammeln sich ein paar Autogramm-Jäger vor dem Podium. „Herr Schäuble, wann schaffen Sie die Schiffbausubventionen fürs Ausland ab?“ will ein Mann wissen. „Wenn's nach uns ginge, wären die schon lange abgeschafft“, erwidert Schäuble. „Darf ich Ihnen die Hand schütteln“, fragt ein jüngerer Mann fast schüchtern. Schäuble reicht dem Mann die Hand. Plötzlich streckt ein Reporter dem Politiker ein Mikrophon entgegen. „Eine Frage, Herr Schäuble?“ Schäuble hebt den Blick und sieht dem Reporter geradewegs ins Gesicht. „Welche?“ fragt er zurück. Er scheint zu ahnen, was der Journalist wissen will. Er hat die Frage schon sooft beantwortet. „Wie wollen Sie die Wähler überzeugen?“ formuliert der Radio-Mann vorsichtig. Schäuble: „Wir haben eine bessere Politik für Deutschland.“ Ruckartig fährt er mit seinem Rollstuhl ein Stück zurück und hebt die Hand. „Keine weiteren Fragen mehr.“
Kerstin Schneider
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