Als Jugendtreffpunkt bleibt die Tankstelle

■ Die Bezirke müssen weiter an der Jugendarbeit sparen. Vor allem die selbstverwalteten Jugendclubs stehen vor dem Aus. Der Trend geht zu von Pädagogen begleiteter Autonomie

Die drastischen Sparmaßnahmen in der Jugendarbeit tragen Früchte. „Dieses Jahr wird es sehr kraß“, befürchtet Jörg Thomas Voigt, jugendpolitischer Sprecher der SPD in Prenzlauer Berg: „Zwei Drittel der von der Jugendhilfe geförderten Projekte sind gefährdet.“ Die Haushaltsverhandlungen in den Jugendausschüssen der Bezirke laufen auf Hochtouren, die Aussichten sind katastrophal. Gerade 49 Prozent der ursprünglichen Summe stehen der Jugendhilfe noch zur Verfügung. Existentiell betroffen sind vor allem die selbstverwalteten Jugendzentren. Obwohl diese ohne kostenintensive Betreuung „von oben“ auskommen, besitzen sie in den Fördergremien keine Lobby.

Das Steglitzer Iskra und die Schöneberger Potse sind bereits tot. Der dortige Drugstore bangt ebenso um sein Leben wie der Kiezladen in Pankow. Und in Zehlendorf sitzt das Café Chaos seit 16 Monaten dort, wo es die Jugendlichen wegholen wollte: auf der Straße. „Es gibt keine Räume mehr für Jugendliche“, konstatiert Burghard Zimmermann von der IG Pumpe, ein langjähriger Unterstützer des Projektes. „Deshalb werden Orte wie die Aral-Tankstelle an der Spanischen Allee zu Jugendtreffs. Dort gibt es immerhin Zigaretten und Alkohol. Wir brauchen jetzt einen Mietvertrag, doch die CDU blockt.“

Jugendliche Selbstverwaltung ist auf Räume angewiesen, in denen sie sich entfalten kann. Die wollen erkämpft sein, denn die sind teuer. So soll der Schöneberger Drugstore in billigere, also kleinere Räume umziehen. Im November läuft der Mietvertrag in der Potsdamer Straße aus. Das älteste Jugendprojekt der Stadt ist gleichzeitig auch das letzte seiner Art: Völlig autark organisieren die Jugendlichen Konzerte und Filmveranstaltungen und betreiben verschiedene Werkstätten. Alle Entscheidungen werden im Plenum ausdiskutiert.

„In den kleineren Räumen ist all das nicht mehr möglich“, befürchtet Bodo Schröder vom Drugstore. Doch die Schöneberger Jugendstadträtin Ulrike Herpich-Behrens (Grüne) konnte trotz ehrlichen Bemühens in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bei SPD und CDU keine Mehrheit für eine Verlängerung des Mietvertrags finden. Und das, obwohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz eindeutig Projekten Förderungspriorität einräumen, die von den Jugendlichen „selbst mitbestimmt und mitgestaltet werden“. In Schöneberg ist man sich offensichtlich nicht darüber im klaren, daß mit dem Drugstore die letzte Bastion jugendlicher Selbstverwaltung fällt. „Doch die war schon immer ein Kampfauftrag“, versichert Burghard Zimmermann, „ein Kampfauftrag und eine reale Chance, Demokratie zu lernen.“

„Kann Selbstverwaltung überhaupt vom Staat toleriert werden?“ fragt daher Peter Schruth. Der Professor für Jugendhilferecht an der Fachhochschule in Magdeburg sieht die Chance dieser Organsiationsform gerade in ihrer Nichtakzeptanz durch die Obrigkeit. Zehn Jahre lang verteidigte er das ebenfalls selbstverwaltete Thomas-Weißbecker-Haus in der Kreuzberger Wilhelmstraße gegen die Einflußnahme des Senats. In Eigenregie bieten dort junge Menschen obdachlosen Kindern und Jugendlichen eine feste Bleibe. Auch heute noch sieht sich Steffen Körner als Vorstand dieser Einrichtung wegen der finanziellen Abhängigkeit staatlichem Druck ausgesetzt.

Jeannette Martins, jugendpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, sieht eher einen Trend zu betreuten Einrichtungen. Kontrollierte Selbstbestimmung als pädagogische Maßnahme, um Jugendlichen Verantwortung anzuerziehen. So versuchen zwei Sozialpädagogen vom Pfefferberg, mit jugendlichen Straßengangs in der „Baracke“ in Prenzlauer Berg einen weitgehend selbstverwalteten Treffpunkt zu etablieren. Dies sei trotz etlicher Schwierigkeiten die einzige Möglichkeit, diese Jugendlichen zu erreichen, sagt Jörg Thomas Voigt. Begleitete Selbstverwaltung gibt es auch in anderen Bezirken. Oft sogar als Kooperation kommunaler und freier Träger, „und zwar mit gutem Erfolg“, wie Hans Pasker von der Kreuzberger Jugendförderung versichert. Andreas Leipelt