Sans Papièrs

Am 18. März 1996 besetzen 300 MalierInnen, MauretanierInnen und SenegalesInnen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich leben und arbeiten, die Pariser Kirche St. Ambroise. Die Verschärfung der Einwanderungsgesetze durch den früheren Innenminister Charles Pasqua versperrt ihnen den Weg in eine legale Existenz. Die Bewegung der Papierlosen – Sans Papièrs – ist geboren.

Am 24. März wird St. Ambroise von der Polizei geräumt. Die Sans Papièrs beginnen mit Kind und Kegel eine Odyssee durch Paris. Am 28. Juni besetzen sie die Kirche St. Bernard. Im Juli treten zehn Männer in der Kirche in den Hungerstreik. Auch in mehreren Provinzstädten beginnen Besetzungen und Hungerstreiks.

Am 23. August schlägt die Polizei die Kirchentüren von St. Bernard mit der Axt ein und räumt. Tags darauf schiebt Frankreich 13 BesetzerInnen ab. Mehrere Dutzend weitere werden später gefesselt und geknebelt abtransportiert.

Am 6. November legt Innenminister Jean-Louis Debré ein Gesetz vor, das u. a. die Unterstützung für Sans Papièrs unter Strafe stellt. Es kursiert der Verdacht, daß die Kirchenbesetzungen ein „provozierter Vorwand“ für dieses Gesetz waren.

Im Februar 1997 veröffentlichen 66 FilmemacherInnen eine Petition gegen das „Debré-Gesetz“. Tausende Unterschriften folgen. Am 22. Februar demonstrieren in Paris mehr als 100.000 Menschen gegen das Debré-Gesetz.

Nach der vorgezogenen Parlamentsauflösung erklärt der sozialistische Kandidat Lionel Jospin am 15. Mai im Wahlkampf: „Wir werden die Pasqua- und Debré-Gesetze abschaffen.“

Nach seinem Amtsantritt sagt Premierminister Jospin Aufenthaltsgenehmigungen für alle Saint Bernards zu. Wenige Tage später wird erneut ein Mann aus der Gruppe abgeschoben.

Am 24. Juni beauftragt Innenminister Jean-Pierre Chevènement die Präfekten, Regularisierungen im Einzelfallverfahren einzuleiten. 150.000 Sans Papièrs beantragen Aufenthaltsgenehmigungen.

In Afrika verspricht Premierminister Jospin, es werde keine Abschiebecharter mehr geben. In Paris verwirft er die Abschaffung der Pasqua- und Debré-Gesetze. Statt dessen stellt er zwei Zusätze zu dem ohnehin verwirrenden Gesetzespaket vor: Sie regeln Staatsangehörigkeit und Einwanderung neu.

In der Bewegung der Sans Papièrs setzt ein Spaltungsprozeß ein. In öffentlichen Zeremonien übernehmen Einzelpersonen und Organisationen Patenschaften für abschiebegefährdete Sans Papièrs.

Bis Mai 1998 wird jeder zweite Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt. 75.000 sollen Frankreich verlassen. Landesweit schießen neue Sans-Papièrs-Kollektive aus dem Boden. Am 1. August besetzen Sans Papièrs für sieben Tage die Botschaft des Vatikan. Am 10. August lockert Innenminister Chevènement die Anerkennungskriterien. 10.000 bis 15.000 abgelehnte Sans Papièrs sollen jetzt doch Aufenthaltsgenehmigungen bekommen.

Am 23. August demonstrieren Sans Papièrs wieder vor der Kirche St. Bernard. Ihre unveränderte Forderung: „Papiere für alle!“ dora