Gegen die Regeln der Subkultur

■ Am Montag live in der Buchtstraße: Avail und Buttmaul bringen Punker zum weinen

„Warum können wir nicht ignorieren, was sie uns beibringen? Und warum können wir nicht vermeiden, anderen dasselbe beizubringen?“ fragt Tim Barry von der amerikanischen Hardcoreband Avail in „All About it“. Dieses Stück über die Hardcore-Szene bringt ein Dilemma auf den Punkt, in dem Punk- und Hardcore-Bands bis heute stecken.

Denn kaum hatten Punk und Hardcore es geschafft, die Regeln der übrigen Musikszene über Bord zu werfen und etwas Neues zu schaffen, da erstickte diese neue Musikrichtung an neuen Regeln – solchen, die sie selber aufgestellt hatte. Was Punk ist und was Hardcore, war klar definiert.

Gospelstücke nachzuspielen gehört zum Beispiel nicht dazu. Oder Wanderakkorde auf der verzerrten Gitarre zu schraddeln. Genau das tut die Band Avail aus Richmond, Virginia, aber mit Leidenschaft. Seit 1991 bricht das Kollektiv die Regeln der eingefahrenen Subkultur auf eine äußerst angenehme Art und Weise.

Schon auf der ersten Avail-Platte „Satiate“ verflocht die aus Highschooltagen befreundete Clique um Gitarrero Joe Banks und Sänger Tim Barry allerhand Unpunkiges mit dem fetten Sound des Marshall-Gitarrenverstärkers, ohne den kaum eine Hardcoreband auskommt. Folk-Akkorde, Hardrock-Ausflüge, die an die frühen Kiss erinnern, „Liebe statt Hass“-Texte, krumme Rhythmen und poppiger Kitsch verband sich im Proberaum, einem überzähligen Schlafzimmer, mit Aggressivität. Gradlinige Punkkracher standen neben komplex arrangierten Stücken mit sorgsam austarierten Gitarrenläufen. Das von Flöten und akutischen Gitarren begleitete „Hope“ hätte gar John Bon Jovi nicht weniger kitschig singen können. Im Zusammenspiel mit den übrigen Stücken aber wirkte so ein Lied nicht wie Chart-Kitsch, sondern als wohltuender Moment der Emotionalität.

Auf den Alben „Dixie“ und „4AM Friday“ verfolgte das Quartett konstant seinen Schlingerkurs entlang der Punkrock-Konstante weiter. Mal spielten sie die gottesfürchtige Gospelnummer „Swing Low Sweet Chariot“ und klangen dabei wie die Violent Femmes, dann wieder glaubte man, einer Emo-Hardcore-Platte des Dis-chord-Lables zu lauschen. Auch die neuste Avail-Scheibe, das 98er-Album „Over The James“, ist da keine Ausnahme. Poppige Hitperlen im Geiste der Descendents stehen neben lärmenden Gitarrenorgien, die ein widerwilliger 3/4-Takt unterlegt, gefolgt von altmodischen Hardcore-Krachern zum abpogen.

Die Stärke von Banks, Barry und Co. ist, daß keiner ihrer stilistischen Ausflüge aufgesetzt klingt. Sie sind einfach gute Musiker, die ihre Singer-/Songwritertunes eben nicht als Fremdkörper behandeln. „Diese offensichtliche Überlegenheit gegenüber anderen Punkrockbands verdeutlicht sich letztendlich auch in der Anzahl der Ohrwürmer, die jede Avail-Platte bevölkern,“ schrieb das Musikmagazin INTRO. Avail machen, wozu sie Lust haben und zelebrieren Gefühle, die über den Wut-, Haß- und Widerstand-Horizont vieler andere Bands hinaus gehen. Hier dürfen Punker auch traurig sein und melancholische Fragen stellen, ohne lächerlich zu wirken.

Live wird das Quartett durch einen alten Kumpel namens Beau Beau ergänzt, der ekstatisch im Schatten der Band umher zuckt –vermutlich sind die Emo-Punks aus Richmond damit auch die einzige Band in der Szene, die sich einen Eintänzer leistet. Buttmaul aus Bremerhaven, eine Band um den Comic-Zeichner Ole Kalaschke, muß ohne dererlei Spirenzchen auskommen. Ihre einfallsreichen Gitarrenattacken erinnern dafür an Emo-Punkbands wie Jawbox oder Jawbreaker.

Und mit ein wenig Glück gibt es am Montag sogar ein Wiedersehen mit Bremens härtester Band Mörser. Zwei Bässe und drei Sänger sind von Nöten, um die an John Zorn erinnernde Soundwand im Hochgeschwindigkeitstakt zu erzeugen. Ob aber das Flugzeug einen der Stimmgewaltigen rechtzeitig aus seinem Urlaub in die Hansestadt transportiert, ist noch unklar.

Lars Reppesgaard

Avail, Buttmaul und möglicherweise Mörser spielen am Montag, den 31.8., um 21. Uhr in der Buchtstraße.