Müll! Heim! Müll wie Müll!

Der Kabarettist Matthias Deutschmann liegt im Dauerclinch mit dem Bürgermeister der südbadischen Kleinstadt Müllheim. Dieser fühlt sich im Recht und kämpft gegen eine Mauer, eine Zeitung und seine „geistlosen“ Kritiker  ■ Aus Müllheim Heide Platen

Matthias Deutschmann radelt durch Müllheim. Der schwergewichtige Kabarettist ist von Berufs wegen ein Seismograph, einer, der Stimmungen wahrnimmt, zuspitzt und ausspricht. Muff ist in mancher deutschen Kleinstadt, auch in „Müll! Heim! Müll wie Müll!“ zwischen Bergen und Tälern des Markgräfler Landes. Komisch ist das allerdings nur auf der Bühne und nur für diejenigen, die nicht betroffen sind.

Der Kabarettist mit der dünnen Haut unter dem dicken Fell lebt seit einigen Jahren in Müllheim und hat sich in dieser Zeit zum ersten Oppositionellen der Stadt entwickelt. Was immer an Mißständen Müllheim zu bieten hat – Deutschmann spießt sie auf. Jetzt sitzt er im Café Rialto und klopft auf einen Stapel Papier, wie zum Beweis dafür, daß in seiner Stadt so einiges schiefläuft. „Gehen Sie mal zur Anna Leisinger! Gehen Sie da mal hin, und gucken Sie sich die Mauer an!“

Die ist aus grauem Felsgestein und ragt mächtig auf die frischgeteerte östliche Tangente, verengt sie abrupt, schneidet die halbe Fahrbahn ab. Hinter der Mauer liegt der winzige Hof der 71jährigen Anna Leisinger, ein wenig Ackerbau, ein paar Hühner und im Stall die braunweiße Kuh Amanda. Leisinger leistet Widerstand gegen die Straße, die mitten durch die historische Altstadt gebrochen worden ist. Seither muß sich Deutschmanns Kontrahent, CDU-Bürgermeister Hanspeter Sänger, seit 26 Jahren im Amt, täglich an der ungeliebten Mauer vorbeifädeln.

Bürgermeister Sänger tut sich schwer mit seinem prominenten Kritiker. Deutschmanns Zeitungsglossen im Dezember 1996 brachten ihn auf die Palme: „Dieses krampfhafte, geistlose, zynische, an den Haaren herbeigezogene Spötteln... Sollte man nicht ohne Not einer ausländischen Zeitung und ihren Lesern zumuten.“ Und Schluß war mit lustig in Müllheim. Eine zweijährige Kabarettreihe, gekrönt von der jährlichen Verleihung des Gutedel-Preises, eines mit 225 Litern heimischen Weines gefüllten Fasses, fand ihr trockenes Ende. Deutschmann machte sich samt Sponsoren und Preis selbständig. Unter der Hand sei ihm gesagt worden: „Man scheißt nicht dahin, wo man schläft.“

Die Lokalzeitung charakterisierte den Bürgermeister als eine „vor Ort umstrittene Figur – vor allem wegen seines mitunter selbstherrlichen Führungsstils. Sein unversöhnlicher Umgang mit Gegnern erinnert an die gute alte Zeit der Fürstenhäuser.“ Daraufhin kündigte der Bürgermeister das Abo. Und fuhr fortan im Amtsblatt Breitseiten gegen Deutschmann: „Müllheim, erwache!“

Das rief die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) auf den Plan. Der Satz sei der Nazipropaganda entlehnt: „Deutschland erwache! Juda verrecke!“ Sänger reklamierte statt dessen als Quelle seines Zitatenschatzes das kirchliche Liedgut: „Wach auf, wach auf, du deutsches Land!“ Er schulmeisterte: „Es ist unerträglich, daß Sie diese durch die Jahrhunderte mit positivem Inhalt und mit großer Überzeugung gesprochenen und gesungenen Texte durch die zwölf Jahre der Nazizeit diskreditieren, weil der Verbecher Hitler in einem eigenständigen Satz zur Vernichtung der Juden aufforderte.“

Der VVN-Brief hatte Folgen. Einer der Unterzeichner, ein bei der Stadt angestellter, blinder Telefonist, erhielt eine Abmahnung. Antifaschismus, hatte Sänger den Kritikern zuvor zu verstehen gegeben, sei heutzutage obsolet, weil „durch die Gewaltherrschaft des Kommunismus über 50 Jahre vollständig diskreditiert worden“.

Der Kleinkrieg mit Deutschmann eskalierte. Sänger sammelte Zeitungszitate gegen den kabarettistischen „Niedermacher“ zusammen. Der edierte 10.000 satirische Postkarten gegen den Bürgermeister. Und bekam neue Munition auf einem anderen Konfliktfeld. Seit vier Jahren kämpft der deutsch-türkische Fußballverein Müllheim Baris Spor Club darum, einen eigenen Platz zu bekommen. Bürgermeister Sänger war nicht begeistert von der Neugründung. Und dann war seine Zunge wieder zu locker. Wenn Baris eine Bauchtanzgruppe gegründet hätte, fände er das in Ordnung, er hätte sogar selbst Mitglied werden wollen.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir eilte zu Hilfe. Er lud sich mit seiner Fraktion zum Freundschaftsspiel gegen Baris an. Sänger schrieb an die Adresse „Türkischer Bundestagsabgeordneter Cem Özdemir“, daß das eine zu rügende „Provokation“ und „Erpressung“ sei. Ende Juli stand der Bonner Türke, korrekt deutscher Abgeordneter türkischer Herkunft, mitsamt Team trotzdem ante portas Müllheim und verlor publikumswirksam gegen die Einheimischen von Baris Spor mit 6:9.

Neue Verhandlungen mit Sänger endeten für den Verein wiederum mit einem Provisorium. Der Bürgermeister machte sich im „Sänger-Krieg“ emsig neue Feinde. Er verklagte die Badische Zeitung in Freiburg wegen eines Kommentars, in dem der Autor ihm vorwarf, er tue nichts für Baris Spor. Chefredakteur Jürgen Busche sah in dem Landgerichtsurteil zugunsten Sängers eine Bedrohung der Meinungsfreiheit. Der Rechtsstreit dauert an.

Deutschmann geht es, sagt er, mittlerweile nicht mehr um Spaß, sondern ums Prinzip, um „Angst und Duckmäuserei in Zeiten einer großen Verunsicherung“: „Hier ist in 26 Jahren ein exemplarischer, politischer Filz gewachsen, der entfernt werden muß.“