Potente Geschmacksverstärker Von Karl Wegmann

Verflixt, der Magen zwickt. Hunger. Schon wieder vergessen zu essen. Schnell zum Tiefkühlfach. Packung aufreißen, das Ding in die Mikrowelle, Zeit einstellen und zurück an den Computer.

„Kochst du“, behauptete einmal ein Japaner namens Shunryu Suzuki Roshi, „so arbeitest du nicht einfach am Essen, du arbeitest an dir selber, du arbeitest an anderen.“ Diese Asiaten. Wer will das denn? Ich meine, wer zum Tofu hat überhaupt noch Zeit zu kochen? Wer Karriere machen muß, arbeitet an sich selbst schon genug und an anderen sowieso. Da braucht man keine Kartoffelschälerei und kein Salatgeputze, da reicht die Mikrowelle. Die füllt uns der nette Food-Designer von nebenan. Der hat in seinem Baukasten alles, was der schnelle Mensch so braucht. Potente Geschmacksverstärker, künstliche Farb- und Aromastoffe, Verdickungs- und Konservierungsmittel, Fettersatzstoffe und vieles, vieles mehr. Damit bastelt er dann ein bißchen herum, und schwupps, ist die Fünf- Minuten-Terrine fertig oder die Tiefkühlpizza oder die Nudelpfanne-Försterin oder der Fruchtjoghurt. Alles hohe Kunst, kaum noch überflüssige Natur. Dann noch schnell in Plastik einschweißen, ein Pappkarton drum rum und ab ins Lebensmittelregal. Is' nicht teuer, is' vitaminarm und frei von Ballaststoffen, und satt macht es auch. Meisterwerke! Man schaue sich nur einmal die Bistro Baguettes von Iglo an. Diese Farbzusammenstellung, diese Komposition! Aus winzigen Salamischeibchen perlt fröhlich das Nitritpökelsalz; leuchtend grüne Broccolispitzen schmiegen sich zärtlich in die modifizierte Stärke; Paprikasplitter liebkosen sanft die Pflanzenfettzubereitung. Eine komplette Mahlzeit, ein Hochgenuß an Ästhetik für 3,49 Mark.

Kochen? Pah, Kochen ist mega- out. Deshalb ist es auch endlich mal an der Zeit, die Vorreiter der Industrie-Mastkost zu ehren – den Schweizer Mühlenbesitzer Julius Maggi zum Beispiel, der uns den abgepackten Suppenmehl-Würfel schenkte; oder Carl Heinrich Knorr, der erstmals die Haferflocken unters Volk streute; oder den Knödelkönig Eckart aus Münche, dessen Trockenkartoffel heute unter dem Namen „Pfanni“ in allen Formen und Spielarten zu haben ist. Wahrlich große Männer. Ohne sie gäbe es heute keine High-Tech- Lebensmittelindustrie. Eine Wachstumsbranche, jawohl! Ungefähr 1.500 neue Designer-Nahrungsmittel stopfen sie jährlich in die Regale und Kühltruhen der Supermärkte. Nun gut, einige der Neuschöpfungen funktionieren nicht. Aber das macht gar nichts. Bei Fast-food gibt es für die Phantasie keine Grenzen. Doch es kommt noch besser: Zu den Futtermittel-Designern gesellen sich die Gen-Designer! Ungeahnte Möglichkeiten. Broccoli, der zehn Jahre haltbar ist, Schweine, die nur zehn Monate haltbar sind und dann in Salamischeiben zerfallen. Mit Gen-Modifizierungen geht's noch besser, schneller und vor allem billiger. In nur zwei Jahren werden die Bistro Baguettes von Iglo nur noch 49 Pfennig kosten. Das ist Fortschritt!

Sollen doch die Asiaten ihr Yin und Yang und ihre Zen-Sprüche behalten. Sollen sie doch kochen. Wir müssen zwar auch essen, aber die Zubereitung überlassen wir gerne anderen. Oh, die Mikrowelle klingelt, meine Frühlingsrolle ist fertig.